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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Abkühlung brachte. In Ryde war alles luftiger, dort gab es bisher kaum Industrie, und der einzige Dampf kam von der Eisenbahn, die den Vorort dreimal am Tag anfuhr.
    Wenn er diese Bahn nicht nimmt, kommt er vielleicht mit der Nächsten, versuchte Minnie sich zu trösten, aber die Enttäuschung saß wie ein Kloß in ihrem Hals und machte das Schlucken schwer.
    Hätte ich doch nur ein wenig Wasser mitgenommen, schalt sie sich. Es gab zwar einen Wasserhahn am Bahnhof, aber das Wasser kam aus dem öffentlichen Leitungssystem und nicht, wie bei ihnen in Glebe, aus einer Quelle. Oft war die Flüssigkeit rötlich oder bräunlich verfärbt und stank. Gerade jetzt im Sommer, wo es wenige Niederschläge gab, die die Trinkwasserreservoirs auffüllen konnten. Ihre Mutter warnte sie immer davor, aus den Wasserhähnen zu trinken.
    Wieder schaute sie sich um, kein Rudolph war zu sehen. Einige verschlafene Arbeiter kamen mit gesenkten Köpfen zum Bahnhof, mancher gähnte laut. Eine Gruppe kichernder Mädchen näherte sich. Entweder fuhren sie zur Schule oder sie arbeiteten als Hilfskräfte und Saisonarbeiterinnen auf den Farmen in und um Ryde. Man konnte schon das rhythmische Stampfen der Dampfeisenbahn hören, den Rauch sehen, aber Rudolph war nicht gekommen. Enttäuscht trat Minnie an den Bahnsteig. Sie hatte fest damit gerechnet, dass er auftauchen würde.
    Jetzt war der Zug schon zu sehen, er verlangsamte sein Tempo, die Pfeife machte einen ohrenbetäubenden Lärm, als das Dampfross in den Bahnhof einfuhr.
    »Minnie! Fräulein Lessing!« Eine Gherry, ein kleiner Einspänner, fuhr mit einem atemberaubenden Tempo die Straße hinunter. Hinter dem Kutschbock stand ein Mann, er hielt sich an dem Kutscher fest und schwenkte seinen Hut. »Fräulein Lessing! Nicht einsteigen!«, rief er wieder. Es war Rudolph.
    Minnie lachte erleichtert auf. Er war gekommen.
    Die Eisenbahn setzte sich schnaufend und dampfend wieder in Bewegung, erst schwerfällig, doch dann nahm sie immer mehr Tempo auf und stampfte davon.
    »Fräulein Lessing!« Rudolph sprang von der Kutsche und griff mit beiden Händen nach ihrer Hand. Er keuchte so sehr, als hätte er selbst die Kutsche gezogen. »Das war in letzter Minute. Ich dachte schon, wir schaffen es nicht mehr. Amaroo hat zuerst nicht verstanden, wohin ich wollte, und dann hatte er es nicht eilig.« Rudolph verdrehte die Augen und zeigte auf den Aborigine, der auf dem Kutschblock saß und Minnie angrinste.
    »Sie haben einen anderen Begriff von Zeit als wir«, erklärte Minnie beschwichtigend. »In ihrer Kultur gibt es keine Eile. Aber Ihr habt es doch geschafft. Nur haben wir jetzt leider den Zug verpasst.« Sie verzog besorgt das Gesicht. »Der Nächste kommt erst heute Mittag. Es gibt eine Tram, die uns an den Stadtrand bringt, und dort fahren Pferdebusse. Sie führen nicht direkt nach Ryde, das letzte Stück werden wir laufen müssen.«
    »Nein, nein!«, sagte Rudolph und zog sie zur Gherry. »Wir werden mit der Kutsche fahren. Ich habe sie mir für den ganzen Tag von meinem Bruder geborgt.«
    »Es sind gut neun Meilen bis nach Ryde.«
    »Das werden wir doch schaffen.« Er lachte befreit. »Was bin ich froh, Euch noch erwischt zu haben. Nun steigt ein. Diese Einspänner sind fantastisch, schnell und wendig. Warum gibt es das bei uns noch nicht?« Er half ihr auf den Einspänner.
    »Bei uns?«, fragte sie irritiert. »Hier sind sie gang und gäbe. Ich glaube, sie kommen aus Indien. Genau wie die Rikschas. Die sind in der Stadt sehr praktisch, aber Ihr würdet keinen Eingeborenen dazu kriegen, eine Rikscha zu ziehen.«
    »Ich bin immer noch mit einem Fuß in Europa, verzeiht. Dort gibt es diese wendigen Gherrys nicht.« Er tippte dem Kutscher auf die Schulter. »Amaroo, to Ryde now, please and hurry up.«
    Sein Englisch war nicht schlecht, stellte Minnie fest, aber von den Einheimischen hatte er keine Ahnung. »Jetzt« und »schnell« gehörte nicht zu ihrem Vokabular. So setzte sich das Gefährt auch gemächlich in Bewegung.
    »Hurry up!«, sagte Rudolph strenger.
    Minnie schüttelte sich vor Lachen. »Das wirkt nicht.« Sie wandte sich zu dem Kutscher. »Amaroo – that is the name for ›Beautiful place‹ isn’t it?«, fragte sie ihn.
    Überrascht sah er sich um. Die weißen Zähne blitzen in seinem mattschwarzen Gesicht auf.
    »Yes. You know?«
    »I do. We need to go to a beautiful place, to the Vollmer nursery, do you know it?«
    »A cousin of mine works there. It is a beautiful place. Lots of

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