Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
es daran, dass Ihr die erste fremde Person auf dem fremden Kontinent wart, mit der ich gesprochen habe, vielleicht auch daran, wie Ihr Euch an jenem Tag um mich bemüht habt, als ich im Streit das Kontor meines Bruders verlassen hatte und völlig verloren auf der Straße stand – jedenfalls seid Ihr mir lieb und teuer geworden und liegt mir sehr am Herzen. Ich möchte gerne mehr Zeit mit Euch verbringen, Euch besser kennenlernen, denn ich habe das Gefühl, dass wir uns viel zu sagen haben. Es ist so erstaunlich, dass ihr Euch für die Landwirtschaft interessiert. Ihr, die erste Person, die ich getroffen habe. War das vielleicht Schicksal? Ich bin kein Mensch, der an Himmelsmächte zu glauben vermag, aber diesmal kann ich mich des Gedankens nicht erwehren.
Morgen laufen wir aus nach Noumea. Mich reizt diese Reise gar nicht, doch mein Bruder besteht darauf. Lieber würde ich Australien und die Umgebung von Sydney genauer erkunden, mich mit der Fauna und Flora und den Bodenbeschaffenheiten vertraut machen. Aber wir werden zurückkommen. Mögt Ihr mir schreiben? Ich bitte Euch sehr darum.
Herzlichst
Euer Rudolph te Kloot«
Gerührt las Minnie den Brief erneut und dann ein drittes Mal. Schließlich faltete sie die Bögen zusammen und steckte sie in ihre Rocktasche. Sie ging zurück ins Haus. Vater war mit den jüngeren Kindern wieder angeln gegangen, Mutter und Lily saßen auf der Veranda. Lily las ein Buch und Mutter studierte ihre Post. Sie schrieb regelmäßig und viel, hielt Kontakt zu ihrem Bruder und der alt gewordenen Mamsell in Deutschland, von denen sie oft berichtete. Aber sie schrieb sich auch mit ihren Freundinnen in Sydney und anderen Kapitänsfrauen, die sie im Laufe der Zeit kennengelernt hatte.
Als Minnie an ihnen vorbeihuschen wollte, sah Emilia auf und versah Minnie mit einem strengen Blick.
»Hanna hat mir geschrieben«, sagte sie sachlich und kühl. Minnie blieb wie angewurzelt stehen.
»Ja?«
»Was hast du mit dem Bruder von te Kloot zu tun? Davon hast du mir gar nichts erzählt.« Ihre Stimme klang schneidend.
»Doch, das habe ich doch erzählt – ich habe ihn getroffen, am Kai, zusammen mit te Kloot, als du mich zum Hafen geschickt hast, damit ich mich nach der ›Lessing‹ erkundige.« Sie trat von einem Bein aufs andere.
»Das hast du nicht erzählt«, sagte Lily und schaute auf. »Was ist das denn für ein Bruder? Von dem fetten Ekel Jean?«
»Rudolph heißt er und er ist weder fett noch eklig. Lily, halt du dich da raus.«
»Hach, das Schwesterchen hat Gefühle?«, spottete Lily.
»Nein! Halt die Klappe. Er ist nett, ganz anders als sein Bruder.«
»Sei’s drum«, sagte Emilia und zog die Stirn in Falten. »Du bist mit ihm allein in einer Gherry gefahren? Mit einem uns unbekannten Mann? Minnie, was ist bloß in dich gefahren?«
»So war das gar nicht.« Minnie biss sich auf die Lippe.
»Wie war es dann?«, fragte Emilia leise, aber eindringlich. »Setz dich bitte. Lily, lass mich mit Minnie allein.«
»Gerade jetzt, wo es spannend wird?« Lily erhob sich schwerfällig, warf ihrer Schwester einen gehässigen Blick zu und lächelte. »Ich geh ja schon.«
Minnie wartete, bis Lily den Hügel hinuntergegangen und außer Hörweite war, dann setzte sie sich seufzend neben ihre Mutter.
»Da ist gar nichts. Ich weiß nicht, warum du so ein Aufheben darum machst.«
»Meine Freundin hat mir geschrieben, dass sie es höchst seltsam fand, wie du dich verhalten hast. Sie schreibt jedoch auch, dass Martin den jungen Mann sehr lobt. Also, was ist geschehen?«
Minnie erzählte, wobei sie versuchte, sich kurz zu fassen und sehr sachlich zu bleiben.
»Es war reiner Zufall. Ich hatte ihm die Zug- und Pferdebus-Verbindungengenannt und nicht damit gerechnet, dass er mit einer Gherry auftauchen würde. Aber dann hatte ich meinen Zug verpasst und war froh, dass er mich mitgenommen hat und ich rechtzeitig zur Arbeit gekommen bin.« Sie holte Luft und schaute so unauffällig wie möglich zu ihrer Mutter. Emilias Stirn war in Falten gezogen, sie nickte ernst.
»So ist das also«, sagte Emilia nachdenklich.
»Ich habe nichts Verwerfliches getan, Mama. Und er ist wirklich nett.«
»Nett.« Das Wort fiel wie ein Stein in einen Brunnen.
»Du kennst ihn doch gar nicht«, sagte Minnie vorwurfsvoll.
»Ich kenne Jean te Kloot.«
»Ja, sicher. Und Tante Antonie hast du zu Tonys Patentante gemacht. Tante Antonie ist immerhin mit Jean verheiratet.« Minnie verdrehte die Augen und stand auf.
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