Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
aus, es wehte kein Wind mehr. Die Luft war voller Spannung, nicht nur in der Küche und im ersten Stock. Die Hühner scharrten aufgeregt in ihrem Gehege, die Pferde wieherten auf der Weide, und selbst die Gänse, die bei heißem Wetter lieber im Schatten verharrten, schnatterten laut. Waren die Tiere nicht gefüttert worden?, wunderte Emilia sich. Doch dann kam Ole mit den Blecheimern um die Ecke, er hatte das Vieh versorgt, wusch sich nun am Brunnen.
»Na, Deern«, sagte er und grinste. »Kannst mich jetzt noch ankieken, gleich muss ich den feinen Anzug und Handschuhe tragen und die Gäste begrüßen, die Kutschen in Empfang nehmen. Aber erst mal werde ich eine smöken.« Er zog den Tabak aus der Tasche und drehte sich eine Zigarette.
»Was ist mit dem Vieh?«, fragte Emilia.
»Die sind ganz tüddelig, weil das Wetter umschlägt. Wird wohlgewittern die Nacht.« Ole lachte und setzte sich neben Emilia auf die Bank. »Aber du brauchst nicht bang werden.«
»Ich habe doch keine Angst vor dem Wetter«, sagte Emilia und richtete sich auf. »Meinst du, es wird schlimm?«, fragte sie dann leiser nach.
Ole zuckte mit den Schultern. »Wer weiß das schon? Aber die Tiere sind unruhig. Die Pferde kommen gleich in den Stall und die Gänse auch. Besser ist das.«
Er zog an seiner Zigarette, trat sie dann im Staub aus und stand auf. »Dann werde ich jetzt mal einen feinen Burschen aus mir machen«, sagte er und lachte laut.
Emilia schaute auf. Keine Wolke war zu sehen, der Himmel war dumpf, und eine drückende Schwüle lag, wie eine Pferdedecke, über allem. Es würde doch gewiss nicht gewittern, dazu gehörten dicke Wolken und Wind. Kaum hatte sie das gedacht, kam ein Lüftchen auf und strich kühl über ihre nackten Waden und Füße.
Ich muss mich noch anziehen, dachte sie und rümpfte die Nase. Aus der Küche klang das müde Quäken ihres Bruders. So sehr sie ihn auch liebte, an diesem Abend hatte sie keine Lust, sich um ihn zu kümmern. Sie schlich sich an der Küche vorbei in den Flur und warf einen Blick in das Esszimmer, wo schon die Kerzen angezündet worden waren und das Geschirr im Lichterschein funkelte. Zu gerne hätte sie heute mit am Tisch gesessen.
In der Stube saßen ihre Eltern und Onkel und Tante beisammen, tranken ein Gläschen Sherry und warteten auf die Gäste. Alle sahen so feierlich und herausgeputzt aus, wie Emilia es noch nie gesehen hatte. Das ganze Haus schien zu glänzen.
Inge kam ihr im Flur entgegen. »Jetzt aber husch, husch nach oben, Fräulein. Anziehen und Frisieren. Komm, ich helfe dir.«
Emilia ließ alles bereitwillig über sich ergehen. Das Mieder wurde im Rücken geschnürt, die Knöpfe mussten alle geschlossen werden. Schließlich hieß Inge sie, sich umzudrehen, dann nickte das Dienstmädchen zufrieden. »Und jetzt noch die Haare.«
Die Bürste ziepte und Emilia hasste die Haarnadeln, die sie stachen. Aber als sie sich im Spiegel betrachtete, war sie begeistert. Ganz anders sah sie aus, so fein und viel älter.
»Schnell, ich muss weiter helfen«, seufzte Inge. »Aber vorher muss auch ich mich umziehen.«
Emilia folgte ihr, sie wollte nichts verpassen. Sehr vorsichtig, um das schöne Kleid nicht zu zerknittern oder zu beschmutzen, ging sie nach unten.
Eine Magd vom Röperhof war gekommen, um in der Küche zu helfen. Betriebsamkeit herrschte in der Küche. Emilia schaute mit großen Augen Ole und Gregor an, die schwarze Anzüge und weiße Handschuhe trugen. Wo hatten sie die Sachen denn her? Und vor allem, warum trugen sie das?
Dörte und Inken waren den ganzen Tag in der Küche beschäftigt gewesen, sie waren verschwitzt und ihre Schürzen fleckig. Inge tauchte aus den Gesindezimmern auf. Sie trug plötzlich ein dunkles Kleid und eine saubere, weiße Schürze. Ungläubig schüttelte Emilia den Kopf. Seltsame Dinge gingen hier vor.
Inken hatte wohl ihren Blick bemerkt und lachte. »Na, wunderst du dich, Täubchen?«
»Ja.« Mehr brachte Emilia nicht heraus.
»Dies wird jetzt ein herrschaftliches Haus.« Sie zwinkerte Emilia zu. »Die Sitten werden sich ändern.«
In diesem Moment rief Mats, der draußen lauerte: »Die Kutschen kommen!«
Alle hielten für einen Moment inne, doch dann ging das Treiben umso hektischer weiter.
Mette war auch da, sie kümmerte sich um Julius. Dafür bekam sie ein kleines Handgeld, hatte sie Emilia stolz erzählt.
Die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen hatte sich im vergangenen Jahr deutlich abgekühlt. Das lag auch daran, dass
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