Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Emilia nachmittags noch Unterricht bei ihrer Tante bekam und lernen musste, während Mette mit den anderen Dorfkindern über die Wiesen und Weiden tollte.
Manchmal vermisste Emilia ihre Freundschaft, die täglichen Treffen, die Spiele, die Gespräche, aber oft genug hatte sie gar keine Zeit, daran zu denken. Wenn Emilia nicht lernte, bei ihrer Mutter oder Tante saß, passte sie auf den kleinen Bruder auf.
Die Gäste kamen. Emilia wusste, dass sie bei dem Empfang nicht dabei sein durfte, aber von ihrem alten Zimmer aus hatte sie die beste Sicht auf die Einfahrt und die Treppe vor dem Haus. Sie huschte nach oben in das Zimmer ihrer Tante. Natürlich war ihr das ohne Erlaubnis nicht gestattet. Aber eigentlich ist das doch mein Zimmer, dachte sie trotzig und stieß das Fenster auf, schob sich den Schemel davor und schaute nach draußen.
Zwei Kutschen trafen ein. Die Pferde sahen prächtig aus und Emilia musste die Faust auf den Mund pressen, um nicht laut zu lachen, als Ole in seinem ungewohnten Aufzug und mit Handschuhen die Kutschen in Empfang nahm.
Gregor wirkte genauso komisch verkleidet. Er half den Damen aus dem Wagen und führte sie zur Treppe.
Emilia lehnte sich, so weit wie möglich, aus dem Fenster und beobachtete, wie ihre Eltern, der Onkel und die Tante die Gäste begrüßten. Dann gingen alle ins Haus und Emilia lief wieder nach unten. Sie wollte auf keinen Fall irgendetwas verpassen. Auf der Treppe blieb sie stehen.
Die Gäste standen plaudernd in der Diele und ließen sich von Inge und Gregor den Willkommenstrunk reichen. Schaumwein mit Holunderblütensirup, den Inken im Frühjahr gekocht hatte.
Dann gingen alle ins Esszimmer.
»Der Herr Lindley spricht aber komisch«, sagte Emilia. Inken hatte ihr ein Glas mit Holunderblütensirup und Wasser gegeben.
»Der ist auch aus England«, sagte Ole. Er war kurz in die Küche gekommen, um die Schmalzbrote und Bier für die Kutscher zu holen, die in der Scheune saßen.
»Braucht ihr noch etwas?«, fragte Dörte ihn.
»Ich weiß nicht, ob die Brote reichen. Das sind Mietkutscher, die haben Hunger.«
»Ich mach dir gleich noch mehr.«
»Was sind Mietkutscher?«, wollte Emilia wissen. »Und warum haben die mehr Hunger als andere Kutscher?«
Mats lachte. »Ach, Deern, du bist so süß. Mietkutscher sind nicht bei einem Haushalt angestellt, so wie Gregor, Inken und Dörte. Sie verdingen sich bei jedem, der ihre Dienste braucht. Sie werden für eine Fahrt gemietet. Heute bleiben sie so lange hier, bis die Leute wieder in die Stadt wollen, dann bringen sie sie zurück und danach ist ihr Dienst für diese Leute beendet. Sie bekommen einen Lohn ausgezahlt, aber mehr nicht.«
Emilia nickte und dachte nach. »Und weshalb haben sie dann Hunger?«
»Schau, ich bin bei deinen Eltern angestellt. Gregor ist bei deinem Onkel und deiner Tante im Verdienst. Wir bekommen Unterkunft und Essen, ob wir sie nun in die Stadt fahren müssen oder nicht. Wir müssen natürlich auch andere Dinge im und am Haus machen, aber egal, was ist, Essen und ein Bett haben wir frei. Das haben diese Kutscher nicht. Sie haben die Pferde und den Wagen, stehen immer und jedermann zur Verfügung, aber Bett und Essen müssen sie von ihrem Lohn bezahlen.«
Emilia zog die Stirn kraus. »Darüber muss ich nachdenken«, sagte sie leise.
Die Sülze war tatsächlich gelungen und wurde aufgetragen, dann die Suppe, die köstlich roch und von der Emilia auch eine Schale bekam. Der Aal war schon am Tag zuvor geliefert worden, in einem Steinguttopf. Da lebte er noch. Jetzt lag er gebraten auf den Tellern. Emilia mochte ihn nicht kosten.
Dann kam der Hauptgang, doch da schlief Emilia bereits auf der Küchenbank.
Als Inken die Sahne für den Kuchen schlug, wurde sie jedoch wieder wach. Wind war aufgekommen und es wurde kühler. Alle Fenster und Türen waren geöffnet.
Plötzlich trat Onkel Hinrich in die Küche.
»Herr Lindley bleibt über Nacht. Ist das Gästezimmer bereit?«Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zurück in den Salon, wo man sich nun versammelt hatte.
Inken und Dörte schauten einander entsetzt an. »Das Gästezimmer? Davon hat vorher niemand etwas gesagt.« Dörte hob die Arme. »Lieber Himmel, sollen wir jetzt auch noch hexen?« Dann sah sie sich um. Mette schlief am Ofen, Julius lag schon lange in seinem Bett im ersten Geschoss. »Sie muss uns helfen.« Die Magd stieß das Mädchen an. »Wach werden.«
Mit großen Augen beobachtete Emilia das Treiben, wagte es aber nicht, sich
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