Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Inken machte keinen verängstigten Eindruck. Sie öffnete die Tür weit und ging in den schmalen Raum. Bis auf die Bettstatt war er leer geräumt, die Kisten und Kästen mit Sofies Sachen waren verschwunden. Es roch staubig, aber auch ein Hauch von Kamille und Minze lag in der Luft, erinnerte an die alte Magd.
»Siehst du hier einen Geist?«, wollte Inken wissen und drehte sich einmal um sich selbst.
»Nein.« Emilia tat einen Schritt nach vorn, dann noch einen. Sie schaute in die Ecken, aber dort waren nur Wollmäuse und Staub, der vom Luftzug aufgewirbelt wurde.
»Glaubst du mir jetzt?«
Das Mädchen nickte.
»Dann husch wieder in dein Bett.« Inken lächelte.
Doch an der Tür zu ihrem Zimmer blieb Emilia verzagt stehen. »Und wenn der Geist erst später kommt?«
»Ach, Täubchen.« Inken seufzte. Dann nahm sie das Kind wieder an die Hand. »Willst du bei mir schlafen?«
»Darf ich?«, fragte das Kind fast tonlos. »Wirklich?«
Inken nickte. Wie ein Wirbelwind lief Emilia zu Inkens Kammer, öffnete die Tür und schlüpfte in das Bett. Kaum hatte sich die Magd neben sie gelegt, war Emilia schon eingeschlafen.
Der Winter dauerte lange, noch im April gab es Frost. Doch Emilia blühte langsam wieder auf. In den ersten Wochen kam sie fast jede Nacht in Inkens Bett geschlichen und kuschelte sich an die Magd. Dann nur noch, wenn der Wind heftig wehte und das Gebälk knackte. Schließlich schlief sie wieder jede Nacht in ihrem eigenen Bett.
»Es muss doch das Wetter gewesen sein. Der lange, kalte Winter hat uns allen zu schaffen gemacht«, sagte Anna. »Emma scheint es jetzt jedenfalls wieder viel besser zu gehen.«
Der große Brand jährte sich im Mai und Julius feierte seinen ersten Geburtstag. Nun bekam er richtige Kleider angezogen. Mit seinen blonden Löckchen und den blauen Augen sah er ganz zauberhaft aus. Emilia liebte es, ihn zu herzen und ihn zum Lachen zu bringen. Seine ersten, vorsichtigen Schritte tat er auf dem weichen Gras vor dem Haus.
»Gib gut acht«, ermahnte Tante Minna sie, »dass er bloß nicht zu nahe an den Teich kommt.« Ihr war der Zierteich ein Dorn im Auge. »Denk an meine arme Luisa, die im Siel ihr Leben lassen musste.« Die Tante wischte sich mit dem Schnupftuch über die Augen.
»In Hamburg wird das jetzt alles anders«, sagte Onkel Hinrich und streckte sich. Den ganzen Vormittag über hatte er mit Martin über den Geschäftsbüchern gehockt.
»Was wird anders?«, fragte Anna.
»Alles.« Er setzte sich auf die Decke, die auf dem Rasen lag. Die Frauen hatten sich Stühle in den Schatten gestellt und stickten. Inken brachte Brot, Käse und Wein.
»Die Bürgerschaft plant ein ganz neues Stadtkonzept«, erklärte Onkel Hinrich.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie du dich dafür so begeistern kannst«, sagte Martin und setzte sich neben ihn. Julius kam auf ihn zugetapst, stolperte und fiel hin. Er jauchzte kurz, stand wankend wieder auf und stolperte weiter auf seinen Vater zu.
»Sie wollen Enteignungen vornehmen.« Martin streckte seinem Sohn die Arme entgegen und der Kleine ließ sich hineinfallen.
»Enteignungen? Aber wir sind doch nicht betroffen?«, wollte Wilhelmina wissen.
»Das steht noch nicht fest, Minna. Macht euch keine Sorgen. Selbst wenn sie unser Grundstück konfiszieren, werden wir ein anderes bekommen. Es wurden weitere zehntausend Ziegel bei uns geordert, wir kommen mit dem Brennen kaum nach.« Zufrieden schenkte sich Hinrich Wein ein.
»Das war ein genialer Schachzug von dir«, sagte Martin anerkennend. »Auch dass du direkt nach dem Brand losgelegt hast, war gut. Seit November nehmen sie fast nur unsere Ziegel für die neuen Abwasserkanäle. Der Ingenieur, der sich das ausgedacht hat, ist genial.«
»Lindley, ja. Ich habe ihn eingeladen, er kommt am Wochenende.«
»Hinrich!« Anna schlug die Hände vor den Mund. »Das sagst du erst jetzt? Das ist ja schon in drei Tagen. Was sollen wir denn servieren? Die Mädchen müssen die Teppiche ausklopfen und Wäsche muss gewaschen werden.«
»Ach, ihr Frauen immer. Er kommt doch nicht, um die Teppiche oder die Wäscheschränke zu inspizieren. Er will mit uns diskutieren. Außer ihm kommen noch zwei Männer von der Bürgerschaft und der Herr Semper.«
»Das ist ja schon eine ganze Gesellschaft«, seufzte Wilhelmina und stand auf. »Bringen die Herren auch ihre Damen mit?«
Hinrich schaute sie verwundert an. »Das weiß ich nicht.«
»Du liebe Güte, Hinrich! Aber das ist doch wichtig zu wissen.« Wie
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