Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
ihrem Elternhaus.
»Hier ist es umgekehrt«, sagte sie nachdenklich, nachdem die Tante sie durchs Haus geführt hatte und sie wieder auf der Straße standen. »Bei uns sind die Zimmer kleiner und enger, dafür haben wir viel Licht und Luft um die Häuser herum. Hier sind die Räume riesig, aber die Häuser stehen eng beieinander und der Hof ist klein.«
»So ist das. Aber du bist ja kein Dorfmädchen, das über Wiesen und Felder laufen muss.«
»Hättest du denn nicht auch gerne einen Zierteich und Rasen, so wie Mutter? Die Bank unter der Kastanie?«
»Man kann nicht alles haben.« Tante Minna lachte. »Und das Leben in der Stadt ist doch sehr viel leichter als das auf dem Lande.Hier kann man alles kaufen und muss es nicht mühselig herstellen. Brot, Butter, Schinken und solche Dinge werden geliefert.«
»Inkens Brot schmeckt aber viel besser als das vom Bäcker«, warf Emilia ein. Dann zuckte sie mit den Schultern. Ihrer Tante musste es ja gefallen, sie zog schließlich hierhin. Emilia würde in Othmarschen bleiben.
Sie nächtigten im Hotel, was Emilia furchtbar aufregend fand. All die Eindrücke machten sie schwindelig und abends fiel sie erschöpft ins Bett. Das Abendessen und Frühstück nahmen sie in einem großen Saal ein, in dem auch viele andere Leute aßen. Die Tante musste sie nicht ermahnen, die Pracht und Vielfalt machten Emilia schier sprachlos.
Am nächsten Tag führte Tante Minna sie durch viele Geschäfte.
»Lass uns Stoff für Bettwäsche kaufen. Such dir aus, was dir gefällt.«
»Aber wir haben doch Bettwäsche, Tante«, wandte Emilia ein.
Wilhelmina lachte nur. »Die ist noch von deiner Großmutter. Ich finde, es ist Zeit für neue.«
Emilia hatte viel gesehen und erlebt. Sie hatte Kuchen mit Schokoladenguss probiert und edle Pralinen, sie hatte Leberwurst gekostet, die so fein war wie Butter. Sie hatte französisches Brot gegessen, aber es hatte ihr nicht geschmeckt.
Als sie in Othmarschen vorfuhren, schloss Emilia die Augen und atmete den Duft der Wiesen und des frisch gemähten Rasens ein. Hamburg roch ganz anders, an manchen Stellen stank es sogar unerträglich, schlimmer noch als die Güllegrube am Ende der Wiese.
Überrascht sah sie sich um, als sie ins Haus kam. Überall standen Kisten, Kästen, Schachteln und Koffer. Was war hier los? Ließ Tante Minna schon ihre Sachen packen? Ihr Haus war doch noch gar nicht fertig. Sie konnte unmöglich jetzt schon dort hinziehen. Die Fenster waren noch nicht eingesetzt, manche Böden noch nicht verlegt und einige Wände noch nicht verputzt.
»Mutter?« Emilia lief suchend durch die Räume, fand schließlich ihre Mutter und Tante Minna in der Stube.
»Wie hat es ihr gefallen?«, fragte Anna leise.
»Ich glaube, sie war sehr angetan. Ich habe mir auch größte Mühe gegeben. Ach, Anna«, sagte Tante Minna, »nun weine doch nicht schon wieder. Es ist wirklich das Beste für das Kind.« Sie holte ein Taschentuch hervor und reichte es ihrer Schwägerin. »Ich werde mich doch gut um sie kümmern.«
Emilia, die auf ihre Mutter zustürmen wollte, blieb verdutzt stehen. Worüber sprachen sie?
»Das tun wir alles nur Hinrich zuliebe«, schluchzte Anna.
»Es wird euer Nachteil nicht sein, das wirst du schon sehen. Es sind doch nur ein paar Jahre.« Tante Minna klang plötzlich sehr streng.
Emilia drehte sich um und rannte in die Küche. Sie brauchte eine Erklärung. Inken saß am Küchentisch, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Du weinst auch«, sagte Emilia leise und verstört. Dann holte sie erschrocken Luft. »Julius? Ist etwas mit Julius?«
»Oh Kind, wo kommst du denn so plötzlich her?« Inken rieb sich mit beiden Händen über die Wangen. »Julius geht es gut. Inge geht gerade mit ihm spazieren.«
»Was ist denn dann los? Wem gehören all die Koffer und Kisten? Warum ist Mutter so traurig? Und was ist mit dir? Du weinst, dabei musst du doch gar keine Zwiebeln schneiden. Ich sehe zumindest keine.« Hilflos ließ sie die Arme hängen.
»Täubchen, mein Täubchen.« Inken breitete die Arme aus und Emilia lief zu ihr und ließ sich fallen. Der vertraute Geruch der Magd umgab sie, sie saugte ihn tief ein, fühlte sich plötzlich nicht mehr so verloren und allein. Hier ist mein Zuhause, dachte sie. Inken hielt sie fest in den Armen, wieder schluchzte die Magd. Dann holte sie tief Luft, rieb sich mit der Schürze über die Augen und lächelte zaghaft.
»Hat es dir in Hamburg gefallen?«
»Oh, es ist so anders dort. So eine große
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