Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Häppchen und leichten Wein und diente dem Kennenlernen. Danach folgte das Diner. Ein Essen mit mindestens drei Gängen. Nicht immer waren die Gäste vom Tiffin auch zum Diner geladen. Es kam auf deren Wichtigkeit an. Wer wichtig war, durfte bleiben und weiterspeisen. Bei den Diners ihrer Tante wurde manchmal Musik gespielt. Aber nicht immer, das lag an den Gästen.
Und dann gab es auch noch richtige Gesellschaften, Einladungen mit fünfgängigen Menüs, mit Musik und Vorträgen. Und schließlich veranstaltete man noch Bälle, mit Tanz, Musik, Unterhaltung und Essen.
In Othmarschen war alles ganz anders gewesen. Sie konnte sich lediglich an eine Gesellschaft erinnern, bei der es ein mehrgängiges Menü gegeben hatte. Meist hatten sie es schlicht gehalten, damals. Jetzt war alles anders. Aus den zwei oder drei Jahren waren neun geworden. Ihre Eltern und Julius lebten in England und Emilia in Hamburg.
Emilia straffte die Schultern. Sie würde die Erwartungen ihrer Familie erfüllen, das hatte sie schließlich immer getan. Eine Verbindung zur Familie Rickmers wäre wünschenswert, hatte ihr Tante Minna gesagt. Andreas Rickmers war nun schon zum vierten Mal Gast im Hause. Aber er hatte noch nie ein Wort mit Emilia gewechselt.
Martin Amsinck war auch schon öfter zu Gast gewesen. Er lachte viel, war ein lebhafter Mensch und hatte Emilia mehrfach eingeladen. Sie mochte ihn, er war lustig. Immerhin. Ein Lichtblick an diesem Tag.
Lessing, dachte sie. Ob er mit dem Dichter verwandt war? In ihrem Zimmer stand ein großes Bücherregal. Bücher waren ihre Zuflucht, ihre Heimat, die sie in diesem Haus nicht finden konnte. »Minna von Barnhelm« war eines der Bücher, die sich in jedem gelehrten Haushalt befanden, und auch »Nathan der Weise« hatte Emilia gelesen. Sollte der Gast aus dieser Familie stammen? Sie mochte eskaum glauben. Noch einmal prüfte sie ihr Spiegelbild, dann ging sie entschlossen hinunter. Die weiten Röcke schwangen bei jedem Schritt.
Jasper und Mathilda durften am Tiffin teilnehmen. Sie saßen artig auf dem Sofa, eine Serviette auf den Knien, und tranken heiße Schokolade aus feinen Porzellantassen. Sie waren in dieses Haus und dieses Leben hineingeboren worden, kannten es nicht anders. Sehr behütet und beschützt wuchsen sie auf, niemals durften sie das Haus allein verlassen. Tante Minnas größte Furcht war, dass noch eines ihrer Kinder ertrinken würde. Deshalb hatte sie auch den Zierteich in Othmarschen zuschütten lassen und den Kindern streng verboten, zum Nutzteich zu gehen.
Tante Minna schaute Emilia prüfend an. »Das Kleid steht dir sehr gut, aber du trägst es nun schon zum dritten Mal hintereinander beim Tiffin. Ich wünsche, dass du dich zum Diner umziehst.«
»Jawohl, Tante Minna.« Emilia seufzte leise, dann lächelte sie Jasper und Mathilda zu und nahm sich auch eine Tasse mit dem süßen und heißen Getränk.
»Sei besonders aufmerksam zu Doktor Schneider, er hat sich extra nach dir erkundigt.«
Emilia biss sich auf die Lippe. Doktor Schneider war ein netter Mann, jedoch fast vierzig und verwitwet. Sie mochte ihn wohl, aber eine Verbindung konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Der Diener öffnete die Tür und begleitete die ersten beiden Gäste in den Salon.
»Doktor Schneider, schön Sie wiederzusehen«, sagte Tante Minna. »Und Herr Amsinck, welch eine Freude.«
Auch Herr Rickmers gesellte sich bald zu der kleinen Gesellschaft, nur der vierte Gast war noch nicht eingetroffen, auch Onkel Hinrich schien noch im Kontor zu sein.
Das Mädchen reichte dünne Brotscheiben mit Gurken und kleine Küchlein, der Diener schenkte Kaffee oder Wein aus.
Emilia hatte gelernt, Konversation zu betreiben.
»Und wie lange werden Sie sich noch in Hamburg aufhalten?«, fragte sie Martin Amsinck.
»Nicht allzu lange. Mein Weg führt mich nach England.« Er lächelte.
Emilia zuckte zusammen. Nach England, dorthin, wo ihre Familie lebte.
»Das hatten Sie mir noch gar nicht erzählt. Was haben Sie denn dort vor?«
»Oh, ich habe neue Berichte über die Weltausstellung in New York gelesen. Vielleicht führen mich meine Wege auch nach Amerika. Jedenfalls hinaus aus diesem Land, um die ganzen neuen Errungenschaften, die neuen Techniken, kennenzulernen und zu inspizieren.«
»Hattet Ihr mir nicht erzählt, dass Ihr Schiffbauer werden wollt?«
»Euer Onkel ist mein großes Vorbild. Ich bin Kaufmann, aber die Zukunft liegt im Welthandel, und wer in Zukunft erfolgreich sein will,
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