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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Stadt. Früher, als wir Tante und Onkel besucht haben, sind mir viele Dinge nicht so aufgefallen, aber jetzt – jetzt wird überall gebaut und alles neu gemacht. Das siehtschön aus, aber eng, irgendwie. Leben möchte ich da nicht«, sprudelte es aus dem Kind heraus.
    Inken erstarrte. »Hat deine Tante nicht mit dir gesprochen?«
    »Doch, die ganze Zeit. Was ist mit Mutter? Und wem gehören all die Kisten und wofür sind sie?«
    »Zum Packen«, sagte Inken düster und stand auf. »Weil alles anders werden wird.«
    »Ja, ich weiß! Tante Minna und Onkel Hinrich ziehen zurück in die Stadt. Dann bekomme ich mein Zimmer wieder, nicht wahr?« Emilia hüpfte durch die Küche.
    »Ja.« Inken zog die Schultern hoch und beugte sich über den Herd.
    Was war hier los? Emilia lief zurück in die Stube. Dort saß Mutter immer noch im Sessel, Vater stand neben ihr. Tante Minna hatte sich zurückgezogen. Emilia blieb in der Tür stehen.
    »Komm herein, Kind«, sagte Vater.
    »Guten Abend.« Emilia schluckte. Plötzlich wurde ihr flau. Etwas Bedrohliches lag in der Luft.
    »Emma, meine Emma.« Mutter lächelte mühsam.
    »Mutter. Vater.« Sie ging zwei Schritte in das Zimmer, blieb dann unsicher stehen.
    »Komm zu uns. Wir müssen mit dir reden. Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.« Der Vater lächelte, aber seine Stimme klang ernst. »Wir reisen ab.«
    »Wir?«
    »Deine Mutter und ich. Wir werden nach England segeln.«
    »Und ich?«
    »Du bleibst bei Tante Minna und Onkel Hinrich. Du gehst doch hier zur Schule.«
    Emilia hielt die Luft an, dachte nach. Vater war drei oder vier Monate in England gewesen. So lange müsste sie also bei Tante Minna wohnen. Aber Tante Minna wohnte ja noch hier. Außer dass die Eltern auf Reisen wären, würde sich nicht viel für sie ändern. »Ich passe auch gut auf Julius auf«, sagte sie und lächelte.
    »Julius kommt mit uns.«
    Die Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube.
    »Aber warum … er kann doch auch hier bleiben, bis ihr wiederkommt.« Emilia kaute auf ihrer Unterlippe, versuchte zu rechnen. »Ihr seid doch vor dem Herbst wieder hier.«
    »Nein, Emilia. Wir werden für ein oder zwei Jahre nach England gehen.«
    Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, was das bedeutete.
    »Ohne mich?«
    Die Mutter stand auf und ging zum Fenster, schaute hinaus. Der Vater nickte. »Ja, du bleibst hier bei Tante Minna und Onkel Hinrich. Sie werden sich um dich kümmern.«
    »Aber … aber …« Emilia schüttelte wild den Kopf. Dann rannte sie in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Sie weinte haltlos, doch irgendwann wollten keine Tränen mehr kommen. Sie gingen nach England? Ohne sie? Aber Julius durfte mit? Das konnte Emilia nicht begreifen. Warum? Warum gingen sie nach England?
    »Schatz?« Anna öffnete vorsichtig die Tür. Emilia drehte sich zur Wand, sie mochte ihre Mutter nicht anschauen. »Mein Schatz.«
    Anna setzte sich aufs Bett, nahm Emilia in den Arm. »Meine Tochter«, murmelte sie. »Lass dich drücken.«
    Emilia wand sich aus den Armen der Mutter. »Warum wollt ihr mich nicht mehr?«
    »Darum geht es nicht. Es geht um das Geschäft. Dein Vater muss nach England …«
    »Ich geh mit. Bitte, lasst mich mitkommen …«, flehte Emilia.
    Doch ihr Flehen war vergebens.

1853–1856
 
Emilia
7. K APITEL
    »Fräulein Emilia, der Tiffin wird gleich serviert!«, rief Jule, das Dienstmädchen.
    Emma drehte sich zur Seite. Es war ein heißer Tag im August, sie hatte die Fenster weit geöffnet und der Lärm der Stadt drang in ihr Zimmer im zweiten Stock. Vor neun Jahren war sie mit Tante und Onkel nach Hamburg gezogen. Damals bekam sie ein Zimmer im ersten Geschoss. Ein schönes Zimmer mit Himmelbett und großen Fenstern, mit Stuck an den Decken und geschnitzten Türstöcken. Ihre Tante und ihr Onkel taten alles, um ihr den Umzug in die Stadt zu erleichtern. Sie hatte einen Hauslehrer und eine Kinderfrau, die nur für sie angestellt war. Emilia hasste zwar den Prunk, sog dafür aber alles, was sie lernen konnte, in sich auf wie ein Schwamm.
    Im Jahr darauf, 1845, wurde ihr Cousin Jasper geboren, zwei Jahre später kam die Cousine Mathilda. Emilia musste wieder einmal ihr Zimmer räumen und einen Stock höher ziehen. Es war wie ein Déjà-vu. Ihren Cousin und die Cousine liebte sie von Herzen, aber den Bruder konnten die beiden ihr dennoch nicht ersetzen.
    Jahr um Jahr hatte sie gehofft, dass ihre Eltern zurückkehren oder sie nach England holen würden, aber nichts davon war

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