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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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etwaszu erledigen hatte. Sie musste dafür einen Umweg machen, aber das tat sie ohne Murren.
    Emilia hatte ein schlechtes Gewissen, denn sie wusste, dass die Tante ihr Verhalten missbilligen würde. Aber sie wollte diesen Schriftverkehr auch nicht missen.
    Im Juni kam ein weiteres Paket mit Briefen von Lessing. Er beschrieb die Fahrt um Kap Hoorn, so dass es sie gruselte. Auch er hatte sich »Moby Dick« besorgt und das Buch gelesen.
    »Dieser Schriftsteller muss an Bord eines Walfängers gewesen sein. Nur wer selbst diese Erfahrungen gemacht hat, kann es so beschreiben. Das sind echte Erlebnisse und nicht Erzählungen aus zweiter oder gar dritter Hand«, schrieb er ihr.
    »Was kann der Kerl denn schreiben, dass Ihr so danach jiepert?«, fragte Rieke sie.
    Emilia saß auf der Fensterbank und las einen Brief nach dem anderen.
    »Oh, wir haben uns über ein Buch geschrieben, dass wir beide gelesen haben. Ein Buch über einen Walfänger.«
    »Den dicken Schinken, den Ihr im Winter überall mit hingeschleppt habt?« Rieke grinste.
    »Moby Dick heißt das Buch.«
    »Ach, ik klöne lieber, schreiben kann ich kaum. Und lesen macht mich ganz mall und duselig.«
    Emilia schaute erstaunt auf. »Lesen ist so wundervoll. Man kann in völlig andere Welten eintauchen und aufregende Dinge erleben. Würdest du das nicht wollen?«
    Rieke zuckte mit den Schultern. »Ach, ken Tied. Wann sollte ik schmökern?«
    »Abends?«
    »Abends?«, Rieke lachte. »Da bin ik so spattlahm, dass ik nur noch slopen will. Und Euer Kapitän? Er schmökert ooch?«
    Emilia lächelte. »Er liebt Bücher.«
    »Na, solang er sich nicht in Euch verkiekt.«
    »Wie kommst du denn darauf?«, fragte Emilia nachdenklich.
    »Ihr schreibt jeden Tag, jede Woche und wenn ik den Pakje Briefe ankieke, den er geschrieben hat – oh je, denk ich dann.«
    »Wir sind doch nur befreundet, Rieke.«
    »Besser so. Ein Kapitän ist ken Keerl für Euch. Die Schipper sind keine gute Wahl.«
    Emilia seufzte. Sie wusste, dass sowohl ihre Tante als auch ihr Onkel genauso dachten. Kapitänsfrauen waren einsam, ihre Männer monate-, manchmal auch jahrelang unterwegs. Ihr war auch bewusst, dass sie Kapitän Lessing inzwischen mehr Gedanken widmete, als gut für sie war. Sie fragte sich ständig, was er wohl zu all dem sagen würde, was sie erlebte, wie er die Musikstücke finden würde, die sie hörte. Ob er auch über diese oder jene Situation lachen würde, so wie sie? Und was er wohl über sie dachte.
    Schreibt er mir, weil er einsam ist auf hoher See? Seine Steuerleute, das hatte er geschrieben, lasen lieber Räuberpistolen als Literatur, mit ihnen konnte er sich nicht austauschen. Will er mir imponieren oder sich nur mitteilen? Sie fand keine Antwort auf ihre Fragen. Unsicher geworden, schrieb sie weniger und schließlich gab sie es ganz auf. Es war, so gestand sie sich ein, unvernünftig, eine solche Freundschaft zu halten.
    Ihre Tante beobachtete das mit Wohlwollen, das merkte Emilia, obwohl Tante Minna kein Wort darüber verlor. Die Tante hatte doch von dem Briefwechsel erfahren, fürchtete Emilia.
    Es war Ende August, die Blätter an den Bäumen fingen schon an, sich zu verfärben, als Emilia von einem Besuch bei Bekannten nach Hause kam.
    Aus dem Salon hörte sie die Stimme ihres Onkels.
    »Ist Besuch da?«, fragte sie die Mamsell und gab Karamell ein Leckerchen.
    »Ein Kunde Ihres Onkels, er wird zu Tisch bleiben, hat mir die gnädige Frau vorhin gesagt.«
    »Wer ist es?«, fragte Emilia neugierig.
    »Das weiß ich nicht.«
    Karamell sprang freudig die Stufen nach oben. Obwohl sie gernebei der Dienerschaft in der Küche war, freute sie sich jedes Mal unbändig, wenn Emilia sie holte. In ihrem Zimmer stand die warme Luft und Emilia öffnete das Fenster weit. Ein lauer Wind blies von der Alster über die Häuser, es duftete schon nach Herbst.
    Bald ist Weihnachten, dachte Emilia. Dann fahren wir wieder nach Othmarschen.
    »Möchtet Ihr Euch umziehen?« Die Mamsell hatte Rieke nach oben geschickt.
    »Wir haben Besuch, ich denke, ich sollte.«
    »Ja, so ein Schipper, ein oller Mann mit einem gammeligen Bart.« Rieke verdrehte die Augen.
    »Sehr alt?«, wunderte sich Emilia.
    »Weeß ik nicht. Hab ihn nur kurz gesehen.«
    »Du magst keine Seeleute, nicht wahr?«
    »Nee«, sagte Rieke grimmig. »Der Olle, der mich dat Gör gemacht hat, der war auch son Schipper. War schneller weg, als ich kieken konnte. Das sind alles Schadderbüddel.«
    Emilia lachte laut auf. »Nicht alle, Rieke,

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