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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Bord des Schiffes aussehen? Das Schiff, das Ihr bei meinem Onkel bestellt habt und das auf der Werft liegt, werde ich besuchen. Einfach, um mir ein Bild zu machen. Denn das möchte ich schon. Ich möchte wissen, wo Ihr die nächsten Jahre zu Leben gedenkt. Und auch, wie.
    Die Pequod in Moby Dick umrundet das Kap der Guten Hoffnung, Ihr umrundet jetzt vielleicht Kap Hoorn. Meine Gedanken sind bei Euch und Eurem Schiff. Wie mögen die Winde, die Strömungen sein? Mich beruhigt der Gedanke, dass Ihr nicht das erste Mal in diesen Gewässern kreuzt. Dennoch sorge ich mich. Ist das vermessen?
    Ich hoffe und warte auf Antwort von Euch, doch werde ich sie erhalten?
    Auf der Pequod sind Matrosen aus aller Welt und aus allen Schichten. Wie mag das auf Eurem Schiff sein? Vor Chile, so habe ich gelesen, sind viele riesige Wale. Sind diese Tiere gefährlich? Ihr habt mir von der Begegnung mit dem Wal im Atlantik geschrieben, doch Ihr klangt nicht ängstlich. Eher ehrfürchtig angesichts dieser gewaltigen Tiere. Ich für meinen Teil fürchte mich nun vor ihnen.
    Der Gedanke an Euer tägliches Leben beschäftigt mich. Das magdaran liegen, dass wir hier in Othmarschen sind. In Hamburg besorgt die Mamsell den Haushalt, sie wacht über die Dienstboten und den Koch. In Othmarschen führt unsere alte Magd Inken den Haushalt. Jetzt, wo Onkel und Tante in Hamburg weilen und ich mit den Kindern allein hier bin, ist die Küche unser Treffpunkt. Dort ist es schön warm und es duftet immer herrlich. Natürlich hat Inken eine Nascherei auf dem Tisch stehen, die Kinder dürfen immer zugreifen. Es ist eine Küche und keine Kombüse. Hat Euer Smutje auch Leckereien für Euch und die Mannschaft? Ach, ich weiß so vieles nicht, aber ich werde mich erkundigen. Für heute muss ich schließen, ich möchte noch weiter lesen. Ob sie Moby Dick erwischen?
    Gute Nacht, lieber Kapitän Lessing«
    Am Tag las sie in der Küche oder in der Stube am Kamin und nachts, wenn überall schon das Licht gelöscht und alle in ihren Kammern waren, stellte sie sich die Kerze auf den Schemel neben das Bett. Dann kuschelte sie sich in ihre Kissen und nahm das schwere Buch hoch. Einige Passagen verstand sie nicht, auch wenn sie sie zum zweiten oder dritten Mal las. Auch störte sie die Art, wie über Religion gesprochen wurde. Ob Lessing ein gläubiger Mensch war? Sie musste ihn unbedingt fragen.
    Die Tage gingen vorbei, ein neues Jahr begann. Frost senkte sich auf das Land und ließ alles erstarren. Emilia gesundete und bald schon fuhren sie zurück nach Hamburg. Dort nahm Emilia ihr gesellschaftliches Leben wieder auf.
    Im April wurde sie achtzehn und die Tante gab ihr zu Ehren einen rauschenden Ball. Doch das größte Geschenk brachte ihr der Postbote – einen Stapel Briefe von Kapitän Lessing. Wieder und wieder las sie seine Worte. Es war, als würden sie einander schon lange kennen. Er beschrieb ihr den Hafen von St. Vincent mit dem Leuchtfeuer auf einem Felsen, der mitten in der Bucht aufragte, so eindringlich, dass sie das Gefühl hatte, ihn selbst gesehen zu haben.
    Wie eindrucksvoll musste es sein, über die Weltmeere zu segeln, tagelang nur Wassermassen und Himmel um sich. In St. Vincent schrieb er den letzten Brief und gab den Packen der Schreiben einem anderen Segler mit, der nach Europa zurückfuhr. Lessings nächstes Ziel war Valparaiso, wo er die Abenteurer von Bord lassen würde. Inzwischen musste er aber längst schon in Iquique gewesen sein, um den Salpeter an Bord zu nehmen. Die Zeit, so schrieb er, würde knapp werden, da er das Kap vor dem südlichen Winter mit seinen gefährlichen Stürmen umrundet haben musste.
    Emilia schrieb ihm weiterhin wöchentlich Briefe.
    Als Riekes Niederkunft nahte, schickte Tante Minna das Mädchen nach Othmarschen.
    »Was passiert mit solchen Kindern?«, fragte Emilia am Abend die Mamsell, als sie Karamell aus der Küche holte.
    »Uneheliche Kinder?« Die Mamsell zuckte mit den Achseln. »Es gibt Heime für die armen Wesen. In Othmarschen am Röperhof lebt eine Engelmacherin, für ein paar Taler nimmt sie auch Säuglinge in Pflege. Aber meist reicht das Geld nicht.«
    »Und dann?« Emilia riss die Augen auf.
    »Dann gehen sie den Weg allen Irdischen. Wer sich der Leichtfertigkeit strafbar macht, soll froh sein, wenn er so davonkommt. Und für die Kinder ist es besser so.«
    »Warum?«
    Die Mamsell drehte sich zu ihr um und wischte sich die Hände am Küchentuch ab. »Was soll denn aus den armen Würmchen werden? Sie

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