Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
leiten.« Er richtete sich auf und schaute sehnsüchtig auf die Elbe.
Emilia hielt die Luft an und schloss die Augen. Ein herbstlicher Wind kam auf und fuhr über das noch segellose Schiff. Bald schon würde der Wind die ›Lessing‹ über die Meere schicken. Zu gerne würde sie mit dabei sein.
Rieke weckte sie aus ihren Träumen. »Gnädiges Fräulein, Ihre Tante kommt gleich vom Schnacken mit den anderen Frauen und wird sich wundern, wo Ihr seid«, flüsterte sie Emilia zu. »Wir sollten kieken, dass wir Land gewinnen. Son Schiff ist eh nix für Weibsvolk.«
Emilia lachte leise. »Du hast recht.«
Wieder wurde Lessing hellhörig. »Eure Familie schätzt den Umgang zwischen uns nicht, oder?«, fragte er leise.
»Ich habe Euch viele Briefe geschrieben und Ihr habt mir geantwortet. Das ist meiner Tante nicht verborgen geblieben. Sie hielt diese intensive Korrespondenz nicht für schicklich.« Emilia senkte den Kopf.
Lessing schluckte hörbar. »Mich hat diese Korrespondenz wirklich berührt und zum Nachdenken gebracht. Den ›Moby Dick‹ und die beiden anderen Bücher habe ich so gründlich gelesen wie kaum ein Buch zuvor. Und es hat mir Freude bereitet, Euch zu schreiben an manch trüben und einsamen Tagen. Ich wollte Euch aber niemals in Verlegenheit bringen, liebes Fräulein Bregartner.«
Emilia stand auf dem Deck des Schiffes, roch den harzigen Duft des Holzes, den scharfen Geruch von Teer und Pech, verbranntem Werg. Es roch nach frischer Farbe und dem Öl, womit die Planken getränkt worden waren. Es duftete nach einem ganz neuen Schiff. Dagegenstank die Elbe brackig und aus den Hinterhöfen drang der Mief der Abfälle zu ihr. Möwen kreisten über der Werft und dem Hafen, schrien laut, wie kleine Kinder. Und da stand sie nun und fühlte sich völlig verloren und gleichzeitig angekommen. Sie hob den Kopf und holte tief Luft. »Ich bin vielleicht nur eine Brieffreundin für Euch, weil uns Welten trennen, aber die bin ich gerne, lieber Kapitän Lessing. Und gerne führe ich diese Brieffreundschaft auch weiter fort.«
Sie sahen sich an, ihre Blicke tauchten ineinander. Dann löste Emilia sich und ging von Bord. Keine Stunde später schrieb sie ihm eine Karte.
»Lieber Kapitän Lessing,
in der Katharinenkirche werden heute Abend Werke von Händel und Buxtehude aufgeführt. Falls wir uns zufällig dort treffen, wäre es mir ein großes Vergnügen.
Eure Emilia Bregartner«
Sie ließ Rieke loslaufen und die Nachricht überbringen. Mit klopfendem Herzen saß sie in ihrem Zimmer und überlegte, ob sie richtig handelte. Ihre Tante durfte auf keinen Fall davon erfahren, sie würde Emilia den Kopf abreißen. Der Umgang, den Familie Bregartner zu pflegen wünschte, hatte rein geschäftlich zu sein.
Sorgfältig kleidete sie sich an. Ob er wohl kommen würde?, fragte sie sich den ganzen Nachmittag. Schließlich ging sie nach unten. Dort wartete schon Andreas Rickmers, der sie zu dem Konzert begleiten wollte. Lächelnd sah sie ihm entgegen. Verwundert war sie nur, als er seine Lippen feucht auf ihre Hand drückte.
»Mein liebes Fräulein Bregartner …«, hauchte er.
»Wir sind ein wenig spät, nicht wahr?« Emilia lächelte und entzog ihm ihre Hand. Ein ausgeführter Handkuss war nicht schicklich. Was dachte sich der junge Kerl nur? »Das ist meine Schuld. Ich konnte mich für kein Kleid entscheiden.«
»Ihr seht bezaubernd aus, so wie immer«, schwärmte Rickmers.
»Danke!« Sie lächelte strahlend. »Dann lasst uns gehen, damit wir noch einen Platz bekommen. Es wäre zu dumm, wenn wir wegen meiner Eitelkeit außen vor blieben.«
Rickmers lachte laut. »Das wird nicht passieren. Ich habe meinen Burschen geschickt, damit er uns Plätze frei hält.« Er reichte ihr den Arm. »Lasst uns gehen, meine Liebe.«
Die Kirche war kühl und voll. Emilia schritt langsam den Gang entlang, schaute nach links und rechts, konnte Lessing aber nicht entdecken. Enttäuscht ließ sie sich auf der Bank nieder, die der Bursche reserviert hatte. Schon bald darauf fingen die Musiker an zu spielen. Das Konzert begann mit Buxtehudes »Befiehl dem Engel«. Emilia schloss die Augen und gab sich dem Genuss der Musik hin.
Nach dem Konzert verließen sie die Kirche, wieder sah sie sich suchend um. Sie trafen Bekannte, die sehr begeistert von dem Konzert waren. Plötzlich berührte jemand Emilia an der Schulter.
»Fräulein Bregartner.« Es war Lessing.
»Mein lieber Kapitän, es freut mich, Euch hier zu sehen.«
Sie sahen einander
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