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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Plätzchen.
    Doch Mathilda schob sie weg. »Ich will hierbleiben. Warum können wir nicht einfach hierbleiben? Hier ist alles viel schöner.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und schluchzte.
    »Ach, Kleines.« Emilia setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm, schaute hilfesuchend zu Inken. Doch Inken war mit den beiden Dienstmädchen, die Tante Minna aus Hamburg mitgebracht hatte, beschäftigt. Der Haushalt in Othmarschen war anders als der in der Stadt. Mamsell war in der Stadt geblieben, um den großen Silvesterball, den Wilhelmina veranstaltete, vorzubereiten. Musiker waren verpflichtet worden, es sollte zum Tanz aufgespielt werden und sogar ein Feuerwerk sollte es geben. Natürlich musste auch die Küche glänzen und ausgefallene exotische Speisen wurden vorbereitet. Die Mamsell stöhnte schon seit Wochen.
    Endlich drehte sich Inken um. »Kindchen, mach dir keine Gedanken. Deine Mutter überlegt schon seit geraumer Zeit, was mit euch während des Balles geschehen soll. Ich habe ihr gesagt, dass ihr ruhig noch hierbleiben könnt. Emma bleibt ja auch.«
    Emilia schaute überrascht auf. »Ist das wahr?«
    »Oh ja. Emma, du bist viel zu schwach für diesen Ball. Dein Husten wird zwar besser, aber ganz genesen bist du noch nicht.« Sie biss sich auf die Lippe. »Es tut mir leid.«
    Emilia lachte. »Das braucht dir nicht leidzutun. Ich bleibe lieber hier und genieße die Ruhe.«
    »Wirklich?« Inken zog die Stirn kraus. »Aber … deine Tante sagte, dass sich etliche junge Männer grämen werden. Ist da keiner, der dein Herz erobert hat?«
    Emilia senkte den Kopf und griff nach den Plätzchen. »Nein«, sagte sie leise.
    Emilia hatte endlich ausgiebig Zeit zum Lesen. Sie las »Moby Dick« und alles von Ephraim Lessing. Sie las, was immer sie in die Finger bekam, und machte sich ihre Gedanken darüber. Seit sie den letzten Brief von Lessing erhalten hatte, waren zwei Monate vergangen. Trotzdem, erst zögerlich, doch dann wie in einem Rausch, schrieb sie ihm Briefe. Es war ein wenig wie Tagebuch schreiben, dachte sie jedes Mal traurig, wenn sie einen Brief zur Post gab, denn auf baldige Antwort konnte sie nicht hoffen. Vielleicht würde er gar nicht antworten, vielleicht waren ihm ihre Briefe und Gedanken zu unbedeutend oder zu naiv. Möglicherweise würde er die Briefe gar nicht bekommen oder, schlimmer noch, sein Schiff würde untergehen. So manches Mal kamen die Segler nicht zurück und niemand hörte je wieder etwas von ihnen.
    Sie hatte bisher nur die zwei Briefe von ihm, die sie wieder und wieder las, wobei sie sich seine Gestalt und seine Stimme vorstellte. Aus den wenigen Zeilen versuchte sie, seinen Charakter zu ergründen und sich mögliche Antworten auf ihre Fragen auszumalen. Ernsthafter war er als all die anderen jungen Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Anders und viel faszinierender. Aber dennoch wusste sie nicht, wie er über sie dachte.
    Soll ich oder soll ich nicht?, fragte sie sich fast jeden Abend, bevor sie sich noch kurz an ihren Schreibtisch setzte, um wenigstens ein paar Zeilen zu verfassen. Meistens tat sie es, aber manchmal kaute sie auch nur auf dem Federkiel und grübelte über Lessing. Vielleicht sah sie mehr in ihm, als da tatsächlich war. Vielleicht hatte sie seine freundliche Art missverstanden und er war nur nett zu ihr gewesen, weil sie die Nichte des Werftbesitzers war, und mit ihren Briefen gab sie sich nun der Lächerlichkeit preis. Aber vielleicht auch nicht. Möglicherweise empfand er ähnlich wie sie.
    »Lieber Kapitän Lessing,
    das Wort Kapitän hat eine andere Bedeutung für mich, seit ichMoby Dick gelesen habe. Kennt Ihr dieses Buch? Obwohl ich die englische Sprache studiert habe und dachte, ich könne mich gut ausdrücken und viel verstehen, so habe ich bei diesem Buch doch meine Grenzen gefunden. Die Fahrt der Pequod beginnt an Weihnachten und Weihnachten ist nun auch hier. Wir sind aber in einem sicheren Hafen, befinden uns über die Feiertage auf dem Gut meiner Familie in Othmarschen.
    In Othmarschen geht die Zeit anders als in Hamburg. Langsamer und bedächtiger. Es bleibt viel Raum, weil es weder Gesellschaften noch Tiffins, Diners und Besuche gibt. Da gibt es viel Zeit, um zu lesen. Moby Dick hat es mir angetan. Die Schilderungen sind so plastisch, aber sind sie auch wahr? Geht es so zu an Bord eines Schiffes? Lasst Ihr Euch nicht sehen vor der Mannschaft? Captain Ahab bleibt lang in seiner Kajüte. Wie mag die aussehen? Wie mag Eure Behausung an

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