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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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als Kunst oder Ehrerbietung.
    »Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagt sie und lacht in sich hinein. »Heute habe ich endlich diesen Bericht abgegeben, und jetzt bin ich so müde, dass ich kaum noch denken kann.«
    »Ist denn jetzt alles in Ordnung?«, frage ich. Am liebsten würde ich sie fragen, was sie neulich damit meinte, als sie das über die Bäume sagte, und warum sie dachte, es wäre eine Warnung für sie, aber ich will es lieber nicht so genau wissen. Nach dem Praxistest habe ich das Gefühl, nicht noch mehr Druck aushalten zu können. Ich habe das Gefühl, schon zu viel zu wissen. Außerdem macht meine Mutter einen gelösteren Eindruck als in den ganzen letzten Wochen und das will ich nicht ändern.
    »Ja, bald ist alles wieder gut«, antwortet sie.
    »Zum Glück«, sage ich. Schweigend blicken wir beide einen Moment lang das Muster meines Kleides unter dem Glas an.
    »Musst du noch einmal auf Dienstreise?«
    »Nein, ich glaube nicht«, antwortet sie. »Ich glaube, jetzt ist es vorbei. Hoffentlich.«
    Sie sieht noch immer erschöpft aus, aber ich kann ihr ansehen, dass ihr mit der Abgabe des Berichts eine Last von den Schultern genommen ist.
    Ich nehme mein Erinnerungsstück wieder an mich. Da habe ich eine Idee. »Kann ich mir mal das Muster deines Kleides ansehen?«, frage ich. Zum letzten Mal habe ich es am Abend vor meinem Paarungsbankett betrachtet. Ich war ein bisschen aufgeregt, und da brachte sie mir ihr Stoffmuster und erzählte mir noch einmal die Geschichte ihres Paarungsbanketts mit dem glücklichen Ende. Doch seitdem hat sich so viel verändert!
    »Natürlich«, sagt sie, und ich folge ihr ins Schlafzimmer. Das eingerahmte Stoffstück steht auf einem kleinen Regalbrett in dem Schrank, den sie sich mit meinem Vater teilt, neben zwei Silberetuis – ihrem und Papas –, die ihre Mikrochips und später die Ringe für den Ehevertrag enthalten haben. Die Ringe sind natürlich rein symbolisch – wir dürfen sie nicht behalten –, und die Mikrochips werden den Funktionären bei der Vertragszeremonie zurückgegeben. Daher sind die Silberetuis meiner Eltern leer.
    Ich nehme ihr Stoffmuster in die Hand und halte es hoch. Das Kleid meiner Mutter war blau, und dank der Konservierungstechnik ist der gerahmte Satin immer noch leuchtend und schön.
    Ich stelle ihn neben mein Muster auf das Fensterbrett. Zusammen, Seite an Seite, meine ich, dass sie ein wenig wie ein Bleiglasfenster aussehen. Das Licht, das von hinten durch sie hindurchfällt, lässt sie aufleuchten, und ich stelle mir vor, dass ich durch die Farben blicken könnte und eine Welt entdecken würde, die schön und andersartig wäre.
    Meine Mutter versteht das. »Ja«, sagt sie. »So könnten die Fenster damals ausgesehen haben.«
    Am liebsten würde ich ihr alles erzählen, aber ich kann nicht. Nicht jetzt. Ich bin zu zerbrechlich. Ich bin in Glas gefangen, würde es aber am liebsten zerbrechen und tief durchatmen. Doch ich habe zu große Angst davor, dass es weh tun könnte.
    Meine Mutter legt den Arm um mich. »Möchtest du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?«, fragt sie. »Hat es etwas mit deiner Paarung zu tun?«
    Ich nehme mein Stoffmuster vom Fensterbrett, und nur das meiner Mutter bleibt stehen. Ich traue mir selbst nicht über den Weg, daher schüttele ich nur den Kopf. Wie soll ich meiner ideal gepaarten Mutter erklären, was geschehen ist? Was ich alles riskiert habe? Wie kann ich ihr erklären, dass ich es immer wieder tun würde? Wie kann ich ihr sagen, dass ich das System hasse, welches ihr Leben, ihre Liebe, ihre Familie hervorgebracht hat? Das
mich
hervorgebracht hat?
    Stattdessen frage ich: »Woran hast du das gemerkt?«
    Auch sie nimmt jetzt ihr Stoffmuster an sich. »Anfangs ist mir nur aufgefallen, dass du bis über beide Ohren verliebt bist, aber ich habe mir keine Sorgen gemacht, denn ich dachte, dein Partner wäre ideal für dich. Xander ist toll. Und du könntest in Oria bleiben, in der Nähe, da eure beiden Familien hier wohnen. Als Mutter hätte ich mir nichts Schöneres vorstellen können.«
    Sie schweigt und sieht mich an. »Und dann hat mich die Arbeit so sehr beansprucht. Erst heute ist mir endlich klargeworden, dass ich mich geirrt habe. Du hast gar nicht an Xander gedacht.«
    Sprich es nicht aus
, flehe ich sie mit den Augen an.
Sag nicht, dass du weißt, dass ich in einen anderen verliebt bin. Bitte!
    »Cassia«, sagt sie, und die Liebe, die aus ihren Augen spricht, ist rein und echt und deswegen

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