Die Auswahl. Cassia und Ky
trotzdem. Ich wusste, dass er schon viel länger unter Wasser war, als er hätte sein sollen. Ich maß die Zeit in Herzschlägen und im Klatschen der Wellen gegen den Beckenrand, als ein Badegast, dann noch einer und noch einer hineinsprang.
War er untergegangen?
Für einen Moment war ich von dem Sonnenlicht geblendet, das vom Wasser reflektiert wurde, grellweiß, und gelähmt von meiner Angst, die sich ebenfalls grellweiß anfühlte. Doch dann stand ich auf, holte tief Luft und wollte gerade laut schreien:
Xander ist untergegangen, rettet ihn, rettet ihn!
Doch bevor ich den Schrei herausbrachte, fragte eine mir unbekannte Stimme: »Ist er untergegangen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich und zwang mich, nicht mehr ins Becken zu schauen. Ein Junge stand neben mir; sonnengebräunt, dunkle Haare. Ein neuer Junge. Das war alles, was ich in der kurzen Zeit feststellen konnte, bevor er ins Wasser abtauchte und verschwand.
Eine Pause, einige weitere Wellenschläge gegen den Beckenrand, da tauchte Xanders Kopf aus dem Wasser auf. Triumphierend grinste er mich an, den wasserdichten Behälter in der Hand. »Ich hab ihn«, sagte er.
»Xander«, sagte ich erleichtert. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Natürlich«, sagte er, und das selbstbewusste Leuchten in seinen Augen war wieder da. »Warum, was soll denn sein?«
»Du warst so lange unten, ich dachte schon, du würdest ertrinken«, gab ich zu. »Und der Junge hier hat das auch gedacht –« Plötzlich erfasste mich Panik.
Wo war der andere Junge?
Er war noch nicht zum Luftholen wieder aufgetaucht.
»Welcher Junge?«, fragte Xander verwirrt.
»Er taucht, um dich zu suchen.« Und dann sah ich ihn, unten im Blau, ein Schatten unter Wasser. »Da ist er! Ob er ertrinkt?«
In dem Moment durchbrach der Junge die Wasseroberfläche, hustend und mit glitzernden Haaren. Eine rote Schramme, fast verheilt, aber immer noch deutlich sichtbar, zog sich über seine Wange. Ich musste mir große Mühe geben, ihn nicht anzustarren. Nicht nur, weil Verletzungen ungewöhnlich sind hier bei uns, wo wir alle so gesund und sicher leben, sondern auch, weil ich ihn nicht kannte. Er war ein Fremder.
Der Junge brauchte eine Weile, bis er wieder zu Atem gekommen war. Schließlich sah er mich an, sprach aber mit Xander. Er sagte: »Du bist nicht ertrunken.«
»Nein«, stimmte Xander zu. »Aber
du
wärst es beinahe.«
»Ich weiß«, sagte der Junge. »Aber ich wollte dich retten.« Er verbesserte sich: »Ich meine, dir helfen.«
»Kannst du nicht schwimmen?«, fragte ich ihn.
»Ich dachte, ich könnte es«, antwortete der Junge und brachte Xander und mich damit zum Lachen. Der Junge sah mir in die Augen und lächelte. Er wirkte, als sei er selbst über seine Reaktion verwundert, und auch ich war überrascht. Es war so ein warmes Lächeln.
Der Junge schaute wieder Xander an. »Sie sah aus, als würde sie sich Sorgen machen, weil du nicht wieder hochgekommen bist.«
»Jetzt brauche ich mir ja keine Sorgen mehr zu machen«, sagte ich, erleichtert, dass beide in Sicherheit waren. »Bist du hier bei jemandem zu Besuch?«, fragte ich den Jungen und hoffte, dass es ein langer Besuch wäre. Ich mochte ihn gleich, weil er Xander so bereitwillig helfen wollte.
»Nein«, erwiderte der Junge, und obwohl er immer noch lächelte, klang seine Stimme still und leise – wie das Wasser, das um uns herum ganz glatt und ruhig geworden war. Er sah mich an. »Ich wohne hier.«
Dieselbe Freude und Erleichterung wie damals empfinde ich auch jetzt wieder, als ich in der Menge ein vertrautes Gesicht sehe, jemanden, über den ich mir bis gerade eben große Sorgen gemacht habe. Jemanden, von dem ich wohl befürchtet hatte, er sei ertrunken, ins Wasser gestürzt, in die Tiefe gezogen worden und womöglich auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Ky Markham ist hier und sieht zu mir herüber.
Ohne zu überlegen, gehe ich einen Schritt auf ihn zu. Im selben Moment fühle ich etwas unter meinem Fuß zersplittern. Der verlorene Tablettenbehälter. Er ist zerbrochen, und der ganze Inhalt, den er schützen sollte, ist auf dem Fußboden verteilt und von meinem Fuß zerdrückt worden. Blaugrünrot.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen, doch meine Bewegung ist bemerkt worden. Funktionäre eilen von allen Seiten auf mich zu, und die Umstehenden holen tief Luft und rufen: »Hier drüben! Aber er ist kaputt!«
Ich muss mich abwenden, als ein Funktionär mich am Ellbogen fasst und fragt, was geschehen ist. Als ich mich umdrehe
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