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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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spielt. Er blickt auf und sieht mir in die Augen. Er hat bemerkt, dass ich weg gewesen bin.
Alles in Ordnung?
, fragt sein Blick, und ich nicke. Jetzt wieder.
    Alles ist wieder normal. Besser als normal – endlich kann ich wieder in vollen Zügen genießen, dass ich mit Xander gepaart worden bin.
    Dennoch wünschte ich, sie hätte mir das von Ky nicht erzählt. Ich werde ihn nie wieder so sehen können wie bisher, jetzt, wo ich zu viel über ihn weiß.

    Wir sind so viele im Spielcenter. Im Raum ist es heiß und schwül, was mich an die Simulation eines tropischen Ozeans erinnert, die wir einmal im Naturkundeunterricht hatten; mit all den Korallenriffen, die von Fischen nur so wimmelten, bevor sie durch die Erderwärmung ausstarben. Ich schmecke Schweiß und atme feuchte Luft.
    Jemand rempelt mich an, als plötzlich die Stimme eines Funktionärs durch die Lautsprecher schallt. Die Menge verfällt in Schweigen, um zuhören zu können:
    Jemand hat seinen Tablettenbehälter fallen gelassen. Bitte bewegen Sie sich nicht, und schweigen Sie, bis wir ihn gefunden haben.
    Alle erstarren auf der Stelle. Ich höre noch ein paar Würfel klappern und ein leises Aufschlagen, als irgendjemand – vielleicht Xander – einen Spielstein hinlegt. Dann ist alles still. Keiner bewegt sich. Ein verlorener Behälter ist eine ernste Sache. Ich sehe das Mädchen neben mir an, und sie erwidert meinen Blick, mit leichtgeöffnetem Mund und vollkommen reglos. Wieder denke ich an die Ozeansimulation und wie die Lehrerin sie mittendrin anhielt, um etwas zu erklären. Die Fische, die ringsum an die Wände des ganzen Raumes projiziert waren, starrten uns an, bewegungslos, bis die Lehrerin wieder die Starttaste drückte.
    Auch jetzt warten wir darauf, dass der Schalter umgelegt wird, dass uns jemand sagt, was als Nächstes kommt. Meine Gedanken schweifen ab, fort von diesem Ort, an dem wir alle stillhalten. Gibt es noch andere Aberrationen, die mit uns hier im Raum stehen, die in diesem Wasser schwimmen?
Wasser.
Vor meinem inneren Auge blitzt eine weitere Erinnerung auf, diesmal mit echtem Wasser, als Xander und ich zehn Jahre alt
     waren.
    Damals hatten wir noch viel mehr Freizeitstunden, und im Sommer verbrachten wir sie fast ausschließlich im Schwimmbad. Xander schwamm gerne in dem blaugechlorten Wasser, ich dagegen saß lieber erst ein bisschen auf dem rauen Betonrand des Beckens und ließ die Beine baumeln, bevor ich mich ins Wasser gleiten ließ. Dort saß ich also, als Xander auf einmal neben mir auftauchte. Er schien beunruhigt.
    »Ich habe meinen Tablettenbehälter verloren«, erklärte er mir leise.
    Mit einem Blick überzeugte ich mich davon, dass meiner noch an meinem Badeanzug festgehakt war. Da war er: Der Metallclip war sicher am linken Träger befestigt. Wir hatten unsere Tablettenbehälter erst seit ein paar Wochen, und damals enthielten sie nur eine Tablette. Die erste. Die blaue. Die, die uns retten kann, die mit genügend Nährstoffen, um uns mehrere Tage am Leben zu erhalten, jedenfalls solange wir Wasser haben.
    Im Becken war viel Wasser. Das war das Problem. Wie sollte Xander den Behälter jemals finden?
    »Wahrscheinlich ist er untergegangen«, sagte ich. »Komm, wir sagen dem Bademeister Bescheid, er soll das Wasser ablassen.«
    »Nein«, erwiderte Xander mit zusammengebissenen Zähnen. »Sag bloß nichts. Ich kassiere einen Tadel, weil ich ihn verloren habe. Verrate es nicht. Ich finde ihn schon.«
    Die eigenen Tabletten selbst zu tragen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu unserer Unabhängigkeit. Wenn wir sie verlieren, gilt das als Beweis, dass wir diese Verantwortung noch nicht übernehmen können. Unsere Eltern tragen unsere Tabletten bei sich, bis wir alt genug sind, sie selbst aufzubewahren, eine nach der anderen. Zuerst die blaue, wenn wir zehn sind. Dann, wenn wir dreizehn werden, die grüne. Die, die uns beruhigt, wenn wir Beruhigung brauchen.
    Und wenn wir sechzehn sind, die rote, die wir nur nehmen dürfen, wenn uns ein hoher Funktionär die Weisung dazu erteilt.
    Zuerst half ich Xander, den Boden des Beckens abzusuchen, aber das Chlor reizte meine Augen. Ich tauchte und tauchte, doch
     als meine Augen so sehr brannten, dass ich kaum noch etwas sehen konnte, kletterte ich wieder auf den Betonrand und versuchte,
     von dort aus in das glitzernde, sonnenbeschienene Wasser hineinzublicken.
    Keiner von uns trägt eine Uhr, solange wir noch klein sind; die Zeit wird für uns gemessen. Aber ich wusste es

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