Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
dem, so er, zu lebenswichtigen und existenzentscheidenden Gedanken geradezu herausfordernden Leidensbezirk zu einem grundlegenden Überdenken seiner und auch meiner Situation gekommen. Von Zeit zu Zeit seien solche Krankheiten, tatsächliche oder nicht, wie er sich ausdrückte, notwendig, um sich jene Gedanken machen zu können, zu welchen der Mensch ohne eine solche zeitweise Krankheit nicht komme. Wenn wir nicht auf die natürliche Weise und also von der Natur aus ganz einfach dazu gezwungen sind, in solche Denkbezirke, wie sie zweifellos solche Krankenhäuser und überhaupt Spitäler im allgemeinen sind, zu gehen, müssen wir auf die künstliche Weise solche Krankenhäuser und Spitäler aufsuchen, auch wenn wir solche uns in Krankenhäuser und überhaupt Spitäler hineinzwingende Krankheiten in uns erst finden oder erfinden oder gar künstlich erzeugen müssen, so er, weil wir sonst nicht in der Lage sind, auf das lebenswichtige und existenzentscheidende Denken zu kommen. Es müssen nicht Krankenhäuser sein, die uns ein solches Denken ermöglichen, es können auch Gefängnisse sein, sagte er, vielleicht auch Klöster. Aber Gefängnisse und Klöster, so seine Fortsetzung, sind nichts anderes als Krankenhäuser und Spitäler. Er halte sich, indem er sich in dem Krankenhaus aufhalte, zweifellos in einem ihm aufeinmal lebensnotwendig erscheinenden Denkbezirk auf. Zu keinem anderen Zeitpunkt sei ein solcher Aufenthalt für ihn von einer derartigen Wirksamkeit gewesen. Jetzt, da ich über den Berg sei, hätte ich selbst auch die Möglichkeit, den Krankenhausaufenthalt als Aufenthalt in einem Denkbezirk zu betrachten und diesen Aufenthalt entsprechend auszunützen. Aber er habe keine Bedenken, daß ich selbst nicht längst diesen Gedanken gehabt habe und schon darangegangen sei, diese Möglichkeit auszunützen. Der Kranke ist der Hellsichtige, keinem anderen ist das Weltbild klarer. Wenn er die
Hölle
, so hatte er fortan das Krankenhaus bezeichnet, verlassen habe, seien die Schwierigkeiten, die es ihm in letzter Zeit unmöglich gemacht hätten zu arbeiten, beseitigt. Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, hatte ich von ihm gehört, sei geradezu verpflichtet, von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufzusuchen, gleich, ob dieses Krankenhaus nun ein Krankenhaus sei oder ein Gefängnis oder ein Kloster. Es sei das eine unbedingte Voraussetzung. Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, der nicht von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufsuche, also einen solchen lebensentscheidenden existenznotwendigen Denkbezirk aufsuche, verliere sich mit der Zeit in die Wertlosigkeit, weil er sich in der Oberflächlichkeit verheddere. Dieses Krankenhaus, so mein Großvater, kann ein künstlich geschaffenes Krankenhaus sein, und die Krankheit oder die Krankheiten, die diesen Krankenhausaufenthalt ermöglichen, können durchaus künstliche Krankheiten sein, aber sie müssen da sein oder müssen erzeugt und müssen immer unter allen Umständen in gewissen Abständen erzeugt werden. Der Künstler oder der Schriftsteller, der sich um diese Tatsache herumdrücke, gleich, aus was für einem Grund, sei von vornherein zur absoluten Wertlosigkeit verurteilt. Wenn wir auf die natürliche Weise krank werden und ein solches Krankenhaus aufsuchen müssen, können wir von Glück reden, so mein Großvater. Aber, so weiter, wir wissen nicht, ob wir tatsächlich auf die natürliche Weise in das Krankenhaus hereingekommen sind oder nicht. Es kann sein, daß wir nur glauben, auf die natürliche, ja auf die natürlichste Weise hereingekommen zu sein, während wir doch nur auf die künstliche, möglicherweise auf die künstlichste Weise hereingekommen sind. Aber das ist gleichgültig. Wir haben dann, so mein Großvater weiter, auf jeden Fall den Berechtigungsausweis für den Denkbezirk. Und in diesem Denkbezirk ist es uns möglich, zu dem Bewußtsein zu kommen, das uns außerhalb dieses Denkbezirkes unmöglich ist. In diesem Denkbezirk erreichen wir, was wir außerhalb niemals erreichen können, das Selbstbewußtsein und das Bewußtsein alles dessen, das ist. Es könne sein, so mein Großvater, daß er seine Krankheit erfunden habe, um in den Denkbezirk des Bewußtseins, so seine Bezeichnung, hineinzukommen. Möglicherweise hätte auch ich zu demselben Zweck meine Krankheit erfunden. Es spiele aber keine Rolle, ob es sich um eine erfundene oder um eine tatsächliche Krankheit handle, wenn sie nur dieselbe Wirkung hervorrufe. Schließlich sei jede
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