Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
Ärzte, irritierte, daß ich, als junger Mensch, hier in dem wahrscheinlich schon immer den Alten und nicht nur den Alten und Ältesten, sondern den Sterbenden vorbehaltenen Zimmer ganz einfach länger, viel länger als üblich gelegen war. Wenn ich, was wahrscheinlich gewesen war, am ersten oder zweiten Tag gestorben wäre, niemandem wäre dabei etwas aufgefallen, sehr richtig wäre ich darinnen untergebracht gewesen, wo ein Sterbender untergebracht gehörte, im Sterbezimmer, und es wäre ganz gleich gewesen, ob jung oder alt, aber jetzt war ich auch für die Ärzte schon über dem Berg und war hier im Sterbezimmer, das muß ihnen zu denken gegeben haben. Sie verlegten mich aber nicht, sie ließen mich, wo ich war. Sie hatten nur ihre Anstrengungen, meinen Heilungsprozeß zu beschleunigen, verstärkt und mich Tag und Nacht an Infusionen angehängt, von welchen ich nicht mehr weiß, was sie bezweckten, und mir schließlich die doppelte oder dreifache Menge von Medikamenten verabreicht und mir nach und nach mit Hunderten von Injektionen meine schließlich schon ganz unempfindlichen Arme und Beine zerstochen. Von den Ärzten war soviel wie nichts zu erfahren gewesen, und die Schwestern waren von einer unbestechlichen Schweigsamkeit. Gegen zehn Uhr war ich immer zur Punktion abgeholt worden. Auch der Gang war in seiner ganzen Länge voller Betten gewesen, eine Anfang Jänner ausgebrochene und gegen Mitte Jänner auf ihrem Höhepunkt angelangte Grippeepidemie hatte die Krankenhausleitung gezwungen, diesen und, wie ich von meinem Großvater erfahren hatte, auch alle anderen Gänge mit Betten und Tragbahren vollzustopfen, und es war tatsächlich ein Glücksfall gewesen, daß ich selbst nicht auf einem solchen Gang, sondern in einem Zimmer mein Bett haben konnte und überhaupt ein Bett hatte. Viele waren gar nicht mehr aufgenommen worden in dem tatsächlich Hunderte fassenden Gebäudekomplex, der aber natürlich auch für die in den letzten Jahren beinahe um das Doppelte angewachsene Bevölkerungszahl der Stadt längst zu klein geworden war. Schließlich hatten für die chirurgische und für die gynäkologische Abteilung sogar Baracken aufgestellt werden müssen. In einer dieser Baracken, so hatte ich von ihm erfahren, war mein Großvater untergebracht gewesen. Er war jetzt schon über eine Woche im Krankenhaus, und die Untersuchungen, denen er sich in dieser Zeit hatte unterziehen müssen, hatten noch kein Ergebnis gebracht. Möglicherweise sei das Ganze, so er, ein falscher Alarm gewesen, und er könne in der kürzesten Zeit wieder nach Hause gehen. Er fühle sich überhaupt nicht krank. Der Verdacht des Arztes werde sich wahrscheinlich als unbegründet herausstellen. Er rechne nur mit ein paar weiteren Tagen Krankenhausaufenthalt. Ihm selbst war der Gedanke gekommen, ob nicht die Tatsache, daß er das Krankenhaus aufgesucht habe, für mich den neuerlichen Ausbruch meiner schon, so er, längst vergessenen Krankheit bedeutet habe, diese Möglichkeit, so er, sei nicht auszuschließen, ein Zusammenhang zwischen seiner und meiner Krankheit bestehe in jedem Fall, das Traurige an der Sache sei nur, daß nicht er, sondern ich aufeinmal durch dieses unglückliche Verhältnis beider Krankheiten zueinander in die Katastrophe gestürzt sei. Es sei nicht sicher gewesen, vertraute er mir in dem Moment an, in welchem er wußte, daß diese Eröffnung mich nicht mehr schädigen konnte, ob ich davonkommen würde. Das sei ihm bekannt gewesen, daß mich die Schwestern schon in das Badezimmer abgeschoben gehabt hatten, weil sie der Meinung gewesen waren, ich sei am Ende. Aber er habe nicht einen Augenblick an meinem Wiederaufkommen zweifeln müssen. Die Tatsache, daß mir der Geistliche, der ihm vom ersten Augenblick an, so wie mir, widerwärtig gewesen war, die Letzte Ölung erteilt hatte, war ihm entsetzlich gewesen. Geistliche der Art wie der Krankenhausgeistliche, die nichts anderes sind als ganz gemeine Ausnützer der Kirche und ihrer Opfer, in Katholizismus reisende Agenten, die sich in fortgeschrittenerem Alter vor allem in größeren Krankenhäusern, weil es ihnen hier abwechslungsreicher und einträglicher erscheint als woanders, festsetzen und ihre Geschäfte machen, verabscheute er zutiefst. Für meine weitere Entwicklung und vor allem Geistesausrichtung sei der Aufenthalt in dem Sterbezimmer, nun einmal Tatsache, von durch nichts sonst zu erreichendem Wert. Die Bezeichnung
Sterbezimmer
für den seiner Meinung nach architektonisch

Weitere Kostenlose Bücher