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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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und hier, im Krankenhaus, in Gemeinschaft mit dem Krankenhauspfarrer tatsächlich nurmehr noch als gedankenloses Geschäft betrieben. An diesen Schwestern ist alles nurmehr noch mechanisch gewesen, wie eine Maschine arbeitet, die sich in ihrer Tätigkeit an ihren eingebauten Mechanismus und an sonst nichts zu halten hat. Die Visite hatte mir jedesmal die in Weiß daherkommende Machtlosigkeit der Medizin gezeigt. Ihr Auftritt hatte immer nur Eiseskälte und mit dieser Eiseskälte die Zweifel an ihrer Kunst und an ihrem Recht hinterlassen. Einzig und allein vor meinem Bett waren sie aus der Fassung geraten, weil sie es, immer wieder unvermutet und urplötzlich, jetzt hier im Sterbezimmer mit einem Lebenden und mit keinem Toten zu tun hatten. Hier waren sie, wenn auch nur untereinander, gesprächig und diskussionsbereit, wenn sie mir da auch immer unverständlich geblieben sind. Es war niemals möglich gewesen, mit ihnen einen tatsächlichen Kontakt aufzunehmen. Jeder Versuch in dieser Richtung war von ihnen gleich durch ein rüdes Zurück- und Zurechtweisen meiner Person abgebrochen worden. Sie wollten sich der Außenwelt, wie es den Anschein hatte, um keinen Preis, nicht einmal um den Preis einer ganz einfachen, ganz kurzen Unterhaltung, um den Preis eines auch nur angedeuteten Übermuts öffnen. Sie waren immer nur die an jedem Tage aufeinmal und mit der gleichen Rücksichtslosigkeit vor meinem Bett aufgestellte weiße Mauer geblieben, in welcher kein menschlicher Zug zu entdecken war. Dem Jüngling waren die Ärzte immer als Schreckensbotschafter erschienen, an die ihn seine Krankheiten erbarmungslos ausgeliefert hatten. Er hatte zu den Ärzten immer nur eine Schreckensbeziehung haben können. Sie waren ihm niemals und in keinem Augenblick vertrauenerweckend gewesen. Alle Menschen, die er gekannt und geliebt hat und die zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal kranke Menschen gewesen waren, sind an dem entscheidenden Punkte ihrer Krankheit von den Ärzten im Stich gelassen worden und, wie er sich später sagen hatte müssen, beinahe immer aus grober und unverantwortlicher Fahrlässigkeit. Immer wieder war er mit der Unmenschlichkeit der Ärzte konfrontiert, von ihrem übersteigerten Hochmut und ihrem geradezu perversen Geltungsbedürfnis vor den Kopf gestoßen gewesen. Vielleicht war er in seiner Kindheit und Jugend immer nur an solche abstoßenden und letzten Endes lebensgefährlichen Ärzte geraten, denn Tatsache ist, daß nicht alle Ärzte abstoßend und lebensgefährlich sind, wie die spätere Erfahrung gezeigt hat. Daß er, wie ihm doch immer vorgekommen war, gegen alle diese leichtfertig die Medizin und also ihr sogenanntes
heiliges Gewerbe
betreibenden Ärzte schließlich immer wieder gesund geworden war, dankte er seiner alles in allem immer wieder in hohem Grade widerstandsfähigen Natur. Möglicherweise waren es gerade die vielen Krankheiten, die er im Laufe seiner Kindheit und Jugend gehabt hatte, die ihm das Überleben immer wieder zu garantieren schienen. Seine eigene Willenskraft war es jedenfalls in einem viel größeren Maße, die ihn diese Krankheiten überstehen und aus diesen Krankheiten alles in allem ziemlich unbeschädigt hatte hervorgehen lassen, als die Kunst der Ärzte. Unter hundert sogenannten Ärzten findet sich selten ein wirklicher Arzt, so gesehen sind die Kranken in jedem Falle immer eine zum Siechtum und zum Tode verurteilte Gesellschaft. Entweder sind die Ärzte größenwahnsinnig oder hilflos, in jedem Falle schaden sie den Kranken, wenn diese nicht selbst die Initiative ergreifen. Die Regel bestätigt die Ausnahmen. Mein Großvater hatte wohl mit meinem Primarius sprechen, sich, wie er mir gesagt hatte, sogar gut mit ihm unterhalten können, aber mit mir hatte der Primarius überhaupt nicht sprechen können und sich mit mir auch nicht ein einziges Mal unterhalten, obwohl es nicht an Versuchen von meiner Seite gefehlt hatte von dem Augenblick an, in welchem ich zu einer solchen gewünschten Unterhaltung befähigt gewesen war. Ich hatte ununterbrochen den Wunsch gehabt, mit meinen Ärzten zu sprechen, aber ausnahmslos haben sie niemals mit mir gesprochen, nicht die geringste Unterhaltung mit mir geführt. Meine Natur verlangte immer schon nach Erklärung, besser noch, Aufklärung, und ich wäre vor allem, was meine Ärzte betrifft, für Erklärung und Aufklärung dankbar gewesen. Mit den Ärzten war aber nicht zu sprechen gewesen. Sie haben sich in die Unbequemlichkeit einer

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