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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Sinnlosigkeit, einzig und allein mein Großvater hatte alles noch in einem anderen, optimistischen Licht gesehen, er glaubte an diese Musik und an die Zukunft. Und während er an meinem Bett gesessen war, hatte sein Optimismus auch die von ihm beabsichtigte Wirkung auf mich und auf mein ganzes Wesen gehabt, war er aber gegangen, verflüchtigte sich dieser Optimismus, und ich war wieder in meiner Sinnlosigkeit und in meiner Hoffnungslosigkeit allein. Er hatte eine Reihe von lungenkranken, ja schwer lungenkranken Sängern, ja sogar Wagnersängern ausfindig gemacht, die seinen Optimismus stützen mußten. Aber mein Körper sagte mir etwas ganz anderes. Meine Atemzüge waren die einer, wie mir vorgekommen war, vollkommen zerstörten Lunge gewesen, ein fürchterlicher Zerstörungsprozeß war jedesmal, wenn ich ein- oder ausatmete, deutlich erkennbar, ich hatte, wenn ich nur ein- oder ausatmete, und das ganz bewußt und ohne die geringste Gefühlsverfälschung, den Gegenbeweis dessen, wovon mich mein Großvater zu überzeugen versuchte, wenn er an meinem Bett gewesen war. Ich war erledigt. Zwischen zwölf und drei Uhr waren die Geschehnisse und Ereignisse im Sterbezimmer auf ein Minimum herunter- und zurückgenommen, und für gewöhnlich herrschte in dieser Zeit Ruhe, alles hatte sich jetzt auf die Besuchszeit konzentriert, in welcher das Sterbezimmer sozusagen zur Besichtigung für die Öffentlichkeit freigegeben war. Die Besucher hatten sich nur vorsichtig in das Sterbezimmer hereingetraut, was sie hier bei ihrem Eintreten zu sehen bekommen hatten, war nichts anderes als das bewußtlos oder schlafend oder schwer und stoßweise Atemschöpfen einer Kategorie von Menschenleben, die ich mich ohne weiteres als die erbarmungswürdigste zu bezeichnen getraue. Was an Häßlichkeit und an Armseligkeit an den Patienten im Sterbezimmer zuzudecken gewesen war, war in der Besuchszeit zugedeckt, aber es hatte sich nicht vermeiden lassen, daß das Schreckliche gerade dadurch, daß es nur an manchen nicht zu verbergenden Stellen sichtbar wurde, einen umso tieferen Eindruck auf die Besucher machen mußte. Die Hereingekommenen waren in jedem Falle mit einer Elends- und Armseligkeitstatsache konfrontiert gewesen, von welcher sie vorher keine Vorstellung gehabt hatten, nicht einmal eine Ahnung. Und sie hatten ihre Besuche im Sterbezimmer auch immer als ein Höchstmaß an Überwindung und als bis an die Grenze ihrer Gefühlsleistungsfähigkeit gegenüber dem hier hereingekommenen Angehörigen oder Freund empfinden müssen. Die meisten hatten sich tatsächlich nur ein einzigesmal in das Sterbezimmer hereingetraut, waren, auch wenn der von ihnen Besuchte noch länger im Sterbezimmer gelegen war, nicht öfter und also nie mehr gekommen, sie hatten mit ihrem einmaligen Besuch ihre Schuldigkeit getan, ihr Opfer gebracht. Ich bin sicher, ein Besuch im Sterbezimmer hatte auf den Besucher eine lebenslängliche Wirkung. Dabei war das von dem Besucher Gesehene bei weitem nicht das an Fürchterlichkeit, was er außerhalb der Besuchszeit zu sehen bekommen hätte. Fast alle Besucher waren Landleute und hatten einen weiteren und beschwerlicheren Weg als die Stadtleute gehabt, die fast nicht gekommen waren. Der Städter ist im Abschieben seiner zum Tode verurteilten Alten und Kranken der Brutalere. Er läßt sich ganz einfach nicht mehr blicken. Nun ist er, so sein Gedanke, den, der ihm so lange Zeit, so viele Monate oder so viele Jahre lästig gewesen ist, los, auch in dem dadurch entstandenen Gewissenskonflikt erscheint er ganz einfach nicht mehr, der, welcher ihm durch die Einlieferung in das Krankenhaus abgenommen worden ist, soll jetzt allein sein letztes, gleich wie fürchterliches Wegstück in den Tod gehen. Da standen sie, die Bauern und Arbeiter, und stellten ihre Blumen und Getränke und gebackenen Mehlspeisen auf den verschiedenen Nachtkästchen ab, völlig sinnlos, wie ihnen sofort zu Bewußtsein gekommen sein mußte, weil die Beschenkten damit überhaupt nichts mehr anfangen konnten, denn diese konnten die Blumen nicht mehr sehen und die Getränke nicht mehr trinken und die Mehlspeisen nicht mehr essen. Sie konnten zu einem Großteil ihren Besuch überhaupt nicht mehr sehen. Wenn die Besucher etwas in die Betten und auf die in den Betten Liegenden einredeten, mußte es ungehört bleiben, wenn Fragen gestellt wurden, blieben sie beinahe immer ohne Antwort. Es erforderte der Anstand oder die durch das Gesehene eingetretene Erschütterung oder

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