Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
eingewiesen hatte, war durch das Ergebnis der Untersuchungen, welchen sich mein Großvater im Krankenhaus zu unterziehen gehabt hatte, bestätigt worden. Er hätte ein halbes Jahr vorher operiert werden müssen. Zu dem Zeitpunkt, in welchem er das Krankenhaus aufgesucht hatte, war, entgegen seinen Beteuerungen, daß ihm nichts fehle, schon sein ganzer Körper vergiftet gewesen, und er ist nicht, wie ich mehrere Tage geglaubt hatte, an einer überraschend an ihm vorgenommenen Operation, sondern an einer plötzlich, und zwar binnen weniger Tage zum Tode führenden vollkommenen Zersetzung und Vergiftung seines Blutes gestorben. Er war, so mein Vormund, bis zuletzt bei Bewußtsein gewesen. Er habe nur kurze Zeit unter Schmerzen zu leiden gehabt. Sein Tod sei gegen sechs Uhr in der Früh eingetreten, zu einem Zeitpunkt, als er mit meiner Großmutter allein in seinem Zimmer gewesen sei. Der Magistratsbeamte war schon Tage vorher gesund entlassen worden. Mein Vormund berichtete, daß mein Großvater ihm gegenüber mehrere Male äußerte, daß er zu sterben habe, ohne sein Ziel zu erreichen, den Abschluß seines sogenannten Lebenswerkes, an welchem er die letzten fünfzehn Jahre gearbeitet hatte. Er hatte sich in der letzten Nacht auch nach meinem Befinden erkundigt. Seine Frau, meine Großmutter, und sein Sohn, der Bruder meiner Mutter, waren in dieser letzten Nacht ununterbrochen bei ihm gewesen. Am Ende nurmehr noch meine Großmutter. Gegen halb sechs sei der von ihm gehaßte Krankenhauspfarrer mit seinem Sakramentenkoffer plötzlich in der Tür seines Zimmers erschienen. Die Absicht des Krankenhauspfarrers mußte meinem Großvater klar gewesen sein, nach Auskunft meiner Großmutter hatte mein Großvater in dem Augenblick, in welchem der Krankenhauspfarrer an sein Bett treten hatte wollen, um ihm die Letzte Ölung zu geben, diesem mit dem Wort
hinaus
sein Vorhaben vereitelt. Der Krankenhauspfarrer habe auf das Wort
hinaus
augenblicklich das Zimmer meines Großvaters verlassen. Kurz darauf war mein Großvater tot, und das Wort
hinaus
war sein letztes Wort gewesen. Tagelang hatten mich also die Meinigen aufgesucht und gewußt, daß mein Großvater, auf dessen Besuch ich immer mit der größten Anspannung gewartet hatte, längst tot war. Es war ihnen gelungen, mir seinen
Tod
zu verheimlichen, nicht jedoch, daß etwas ihn betreffendes Unheilvolles vorgefallen war, aber ich hatte mich nicht getraut, sie direkt zu fragen, vielleicht weil ich durch ihre Verhaltensweise während ihrer Besuche an meinem Bett ja schon auf das sogenannte Schlimmste gefaßt gewesen war. Ich hätte mir natürlich selbst längst schon eingestehen können, daß ich dieses Schlimmste, also den Tod meines Großvaters, bereits in meine Vermutungen über ihr merkwürdiges Verhalten einbezogen gehabt hatte. Später hatten sie mir anvertraut, sie hätten meinen Geschwistern ein Schweigeverbot auferlegt, als diese den Wunsch geäußert hatten, mich an meinem Geburtstag zu besuchen. An diesem Geburtstag hatte ich aufstehen und den ersten Gehversuch machen wollen unter Mithilfe meines Großvaters. Die Erklärungen der Meinigen, warum mein Großvater an meinem Geburtstag, gerade an dem Tag, an welchem er mir beim Aufstehen und möglicherweise bei meinen ersten Schritten behilflich hatte sein wollen, nicht gekommen sei, hatten mich nicht überzeugen können, aber ich war gezwungen gewesen, ihre Unwahrheiten zu glauben. Wie tapfer war damals meine Mutter gewesen, die ihren Vater wie keinen anderen Menschen geliebt hat, was mußten meine Großmutter und meine Geschwister mitgemacht haben! Andererseits waren sie alle längst und in einem sicher ungewöhnlich strengen Maße durch so viele Leidensschulen gegangen, daß sie naturgemäß auch diese Wochen ertragen und letzten Endes, mit Ausnahme meiner Mutter, daraus ziemlich unbeschädigt hatten entkommen können, wie sich später gezeigt hat. In die Krankheit bin ich meinem Großvater nachgefolgt, nicht weiter. Ich setzte jetzt, da ich endgültig allein und auf mich angewiesen war, wie sich sofort nach dem Tode meines Großvaters mit aller nur möglichen Deutlichkeit herausgestellt hatte, alles daran, aus dem Krankenhaus herauszukommen und gesund zu werden, nichts weniger wollte ich und hatte mir jeden Tag und zu jeder Stunde und tatsächlich ununterbrochen gesagt, jetzt ist der Zeitpunkt, aufzustehen und hinauszugehen, die Entscheidung war längst gefallen, und ich brauchte jetzt nur die einzig richtige Anwendung der
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