Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
wie in den vergangenen Tagen schon öfter, eine mir von dem Gastwirt aus Hofgastein durch die Hand der Schwester zum Lesen gegebene Zeitung aufgeschlagen. Nachdem ich schon ein paar Seiten gelesen und umgeblättert hatte, entdeckte ich plötzlich das Bild meines Großvaters in der Zeitung. Offensichtlich handelte es sich um einen
Nachruf
über eine ganze Seite. Die Meinigen hatten mir auf Anraten der Ärzte vom Tod meines Großvaters, der schon fünf oder sechs Tage, bevor ich davon in der Zeitung las, gestorben war, keine Mitteilung machen dürfen. Im nachhinein mußte ich mir sagen, daß es besser gewesen wäre, sie hätten sich an diese Anordnung nicht gehalten. Jetzt war ich mit den letzten von meinem Großvater zu mir gesprochenen Sätzen und mit dem Bild, wie ich ihn zum letztenmal gesehen hatte, allein. Er habe sich die von mir gewünschten Klavierauszüge der
Zauberflöte
und der
Zaïde
, die ich liebte, und der
Neunten Symphonie
von Anton Bruckner notiert, das erste, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wäre, sei ein Gang in die Stadt in die von ihm bevorzugte Buchhandlung Höllrigl in der Sigmund-Haffner-Gasse, um diese Notenbücher zu erwerben und mir als Zeichen seiner Freude über meine Genesung zu schenken. Ein guter Kaufmann, zugleich ein guter, noch dazu ein berühmter, ja weltberühmter und noch dazu musikalisch-philosophisch geschulter Sänger zu sein, sei eine in sich so glückliche Sache wie keine zweite. Er habe nicht die geringsten Zweifel, daß ich, wenn ich nur wieder aus dem Krankenhaus, aus dieser entsetzlichen Antiheilungs-, ja Menschenvernichtungsmaschine, herausgekommen sei, mein gestecktes, auch von ihm innig gewünschtes Ziel erreichte. Er hatte mehrere Male das Wort
energisch
gesagt, wobei er diesem Wort
energisch
ein mehrmaliges kräftiges Aufdenbodenstoßen seines Stockes unterlegt hatte. Dann, wenn wir beide wieder gesund sind, fahren wir nach Gastein und machen uns ein paar Wochen dort unter dem Getöse des Wasserfalls glücklich, hatte er gesagt. Darauf war er aufgestanden und hatte sich entfernt. An der Tür hatte er sich umgedreht und mir mit erhobenem Stock etwas zugerufen, das ich aber nicht verstanden hatte. Ich hatte nicht wissen können, daß dieses Bild das letzte von Tausenden und von Hunderttausenden von Bildern meiner Beziehung zu meinem Großvater war. Die Umstände seines Todes habe ich dann von den Meinigen, nachdem ich ein paar Tage, vollkommen unansprechbar und zu nichts mehr bereit, wortlos in meinem Bett gelegen war, nach und nach erfahren. Naturgemäß waren sie selbst durch den letzten Endes völlig überraschenden Tod meines Großvaters und die anderen mit mir zusammenhängenden Geschehnisse und Ereignisse so in Mitleidenschaft gezogen, daß sie zuerst außerstande gewesen waren, mir einen Bericht über diese Umstände zu geben. Zuerst waren ihre ganze Aufmerksamkeit und ihre ganze Angst auf meinen Großvater und dann plötzlich auf mich und dann wieder auf meinen Großvater gerichtet gewesen, und sie waren während mehrerer Wochen aus diesem fortwährenden Angstzustand um meinen Großvater und um mich nicht herausgekommen, und sie hatten einmal denken müssen, mein Großvater stirbt, und dann wieder, ich, und so durch mehrere Wochen hin und her, und schließlich waren sie doch vom Tod meines Großvaters überrascht worden gerade zu einem Zeitpunkt, in welchem sie die Ärzte auch mich betreffend das Schlimmste hatten befürchten lassen, und sie mußten tatsächlich während dieser Wochen in einem unvorstellbaren Angstzustand existiert haben, und die Folge war gewesen, daß sie alle in gleichem Maße geschwächt, vorläufig jedenfalls nicht imstande gewesen waren, das, was geschehen war und was sich ereignet hatte, zu verstehen, sie hatten es, wehrlos und hilflos, bei den auf sie tatsächlich fürchterlich wirkenden Geschehnissen und Ereignissen bewenden lassen müssen. Und sie hatten sehr lange gebraucht, um zu begreifen. Meine Mutter hatte das Unglück zutiefst getroffen. Sie war tagelang überhaupt nicht mehr ansprechbar gewesen, und sie hatte mich in diesen Tagen auch nicht mehr aufgesucht, es war ihr nicht mehr möglich gewesen. Von meinem Vormund, ihrem Mann, hatte ich, wenigstens in Andeutung, Konkretes über den Tod meines Großvaters in Erfahrung gebracht. Der Zeitpunkt, in welchem seine Ärzte festgestellt hatten, was seine Krankheit gewesen war, war für eine Heilung zu spät gewesen. Die Vermutung des Internisten, der ihn in das Krankenhaus
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