Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Assistenten gehorchten ihm bedingungslos, er hätte sich keine besseren Schergen wünschen können. Assistent und Sekundar waren nichts als Befehlsempfänger eines perfiden Mannes, der die Heilstätte als Strafanstalt betrachtete und auch als Strafanstalt führte. Ich traute dem Menschen nicht, wenn ich naturgemäß auch in den ersten Wochen hier noch nicht in der Lage gewesen war, seine medizinischen Kenntnisse zu beurteilen, geschweige denn richtig einzuschätzen. Es sollte sich aber nur zu bald herausstellen, was von dem Charakter und von der medizinischen Kunst des Primarius zu halten war, aber das erklärt sich im Laufe dieses Berichts von selbst. Von Anfang an hatte ich versucht, mit dem Primarius in ein Gespräch zu kommen, aber alle diese von mir aus tatsächlich verzweifelten Versuche hatte der Arzt und Direktor sofort im Keim erstickt, er forderte nur, daß ich spuckte, und war erbost, weil aus mir wochenlang kein Sputum herauszubekommen war. Er war eine unglückliche Natur, die den Beruf verfehlt hatte und durch die Lebensumstände außerdem in eine öde, kalte und abstumpfende Gegend versetzt worden war, in welcher sie verkommen und naturgemäß am Ende ruiniert werden mußte. Auch diese Ärzte waren mir
unheimlich
, wie jene, die ich schon vor ihnen kennengelernt hatte, ich mißtraute ihnen zutiefst und, wie ich glaube, mit Recht. Alles an ihnen verfolgte ich mit dem größtmöglichen Scharfsinn, mit absoluter Aufmerksamkeit, so entgingen sie mir nicht, es gab für sie kein Entkommen. Es war mir von Anfang an klar gewesen, daß ich es hier mit primitiven Ausgaben ihrer Zunft zu tun hatte, aber ich mußte abwarten. Es fehlte meinem Triumvirat so ziemlich alles, was von den Ärzten zu fordern ist, ich durfte von ihnen nicht nur nichts erwarten, ich mußte, so mein Gedanke, vor ihnen ununterbrochen auf der Hut sein, ich wußte natürlich nicht, wieviel sie schon auf ihrem Gewissen hatten, Wachsamkeit verordnete ich mir, allerhöchste Aufmerksamkeit, allergrößte Reserve. So jung ich noch war, ich war ein gutausgebildeter Skeptiker, auf alles und immer auf das Schlimmste gefaßt. Diese Tugend schätze ich auch heute noch als meine höchste. Der Patient muß sich ganz auf sich selbst stellen, das wußte ich, von außen hatte er beinahe nichts zu erwarten, im Abwehren vor allem muß er geschult sein, im Verhindern, im Vereiteln. Mein Großvater, mein Privatphilosoph, hatte mir dazu das Fundament gelegt. Ich mißtraute und wurde gesund, kann ich sagen. Aber dahin war ein weiter Weg. Der Kranke muß sein Leiden selbst in die Hand und vor allem in den Kopf nehmen
gegen die Ärzte
, diese Erfahrung habe ich gemacht. Noch
wußte
ich das nicht, aber ich handelte in diesem Sinne. Ich vertraute auf mich, auf nichts sonst, je größer mein Mißtrauen gegen die Ärzte, desto größer das Vertrauen zu mir selbst. Es geht nicht anders, will ich eine schwere, das heißt eine tödliche Krankheit besiegen, aus dieser schweren und tödlichen Krankheit herauskommen. Aber wollte ich das denn in diesen Wochen? Hatte ich mich nicht dieser Todesverschwörung in Grafenhof angeschlossen, mich vollkommen in ihre tiefste Tiefe fallen lassen? Es ist nicht abwegig, wenn ich behaupte, ich bin in diesen Wochen in diese meine Hoffnungslosigkeit und die allgemeine Hoffnungslosigkeit verliebt, möglicherweise sogar in Liebe vernarrt gewesen. Ich akzeptierte diesen Zustand nicht nur, ich hatte mich wie die Hunderte von Millionen anderen in der Welt dieser Zeit entsprechend folgerichtig und hundertprozentig an die Hoffnungslosigkeit angeklammert, an das Entsetzen angeklammert, an die Nachkriegshoffnungslosigkeit, an das Nachkriegsentsetzen. Hier, unter den Bedingungen der Auflösung, unter den Voraussetzungen des nahenden, des greifbaren Endes, fühlte ich mich Hunderttausenden und Millionen gleich, darauf vollkommen logisch vorbereitet und, wie ich jetzt einsehen mußte,
aufgehoben
. Wieso hätte gerade ich zum Unterschied von den Millionen andern, die im Krieg und die nach dem Krieg in der Folge des Krieges umgekommen sind, ein Recht haben dürfen, davonzukommen, ich hatte geglaubt, ja, davongekommen zu sein durch sogenannte glückliche Umstände, jetzt hatte es mich aber doch erwischt in meinem Winkel, in unserem Winkel, eingeholt, ausfindig gemacht und sich einverleibt, das Lebensende. Ich akzeptierte diese Tatsache und handelte danach. Ich wehrte mich aufeinmal nicht mehr dagegen, lehnte mich nicht mehr dagegen auf, ich dachte nicht
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