Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Befolgen der Regeln des Geigenstudiums in diesem weiterzukommen, ich spielte nach eigenem Empfinden das Virtuoseste und konnte nach Noten nicht das Einfachste einwandfrei, was meinen Lehrer Steiner naturgemäß gegen mich aufbringen mußte, und ich wunderte mich immer wieder, daß er den Unterricht mit mir fort-setzte und nicht ganz einfach von einem Augenblick auf den andern einmal abgebrochen und mich mit Schimpf und Schande nach Hause geschickt hat mit meiner Geige. Die von mir auf meiner Geige produzierte Musik war dem Laien die außerordentlichste und meinen eigenen Ohren die gekonnteste und aufregendste, wenn sie auch eine vollkommen selbsterfundene gewesen war, die mit der Mathematik der Musik nicht das geringste zu tun gehabt hatte, nur mit meinem, so doch Steiner immer wieder,
hochmusikalischen Gehör
, das Ausdruck meines
hochmusikalischen Empfindens
gewesen war, wie der Steiner auch immer zu meinem für diese Geigenstunden aufkommenden Großvater gesagt hatte, Ausdruck meines
hochmusikalischen Talents
, aber diese von mir allein zur Selbstbefriedigung gespielte Geigenmusik war im Grunde keine andere als dilettantisch meine Melancholien
untermalende
Musik, die mich naturgemäß daran hinderte, in meinem Geigenstudium, das ein ordentliches hätte sein sollen, weiterzukommen, ich beherrschte, um es kurz zu sagen, die Geige virtuos, aber ich konnte darauf niemals korrekt nach Noten spielen, was den Steiner nicht nur mit der Zeit verdrießen, sondern verärgern mußte. Der Grad meines musikalischen Talents war zweifellos der höchste gewesen, ebenso aber auch der Grad meiner Nichtdisziplin und der Grad meiner sogenannten Zerstreutheit. Die Unterrichtsstunden bei Steiner waren nichts anderes als die sich immer noch intensivierende Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen. Gerade in dem Wechsel zwischen Geigen- und Englischstunden, zweier vollkommen konträrer Disziplinierungen, hatte ich, abgesehen davon, daß diese beiden mir ermöglichten, in regelmäßigen Abständen ganz korrekt aus dem Internat hinauszukommen, in dem Wechsel von der mich Englisch lehrenden Dame in der Linzer Gasse, die mich immer beruhigt und auf die sorgfältigste Weise belehrt und mir in jedem Falle ein freundlicher, meine Zuneigung immer noch vergrößernder Mensch gewesen war, zu dem mich doch immer nur peinigenden und deprimierenden Steiner in der Wolf-Dietrich-Straße, von dem Englischen zweimal in der Woche also zum Geigenunterricht zweimal in der Woche, einen mich für die Strenge und fortwährende Züchtigungs- und Verletzungstortur in der Schrannengasse entschädigenden Gegensatz gehabt, und nach dem Verlust der Dame aus Hannover und der Englischstunden war ich gänzlich aus dem Gleichgewicht gekommen, denn die Geigenstunden in der Wolf-Dietrich-Straße allein, ohne die Englischstunden in der Linzer Gasse, waren kein Gegensatz und kein Ausgleich für alles das gewesen, was das Internat für mich bedeutete und das ich schon angedeutet habe, diese Geigenstunden allein verstärkten nur, was ich im Internat zu überstehen gehabt hatte. Die Aussichtslosigkeit, mir die Kunst des Geigenspiels beizubringen, und es war wohl doch der Wunsch meines Großvaters gewesen, aus mir einen Künstler zu machen, daß ich
ein künstlerischer Mensch
gewesen war, diese Tatsache hatte ihn zu dem Ziel verleiten müssen,
aus mir einen Künstler
zu machen, und er hatte mit der ganzen Liebe für den auch ihm zeitlebens nur in Liebe verbundenen Enkel immer alles versucht, aus mir einen Künstler zu machen, aus dem künstlerischen Menschen einen Künstler, einen Musikkünstler oder einen Maler, denn auch zu einem Maler hatte er mich später, nach meiner Salzburger Internatszeit, geschickt, damit ich malen lernte, und immer wieder hatte er dem Knaben und Jüngling auch nur von den größten Künstlern und von Mozart und Rembrandt und von Beethoven und Leonardo und von Bruckner und Delacroix gesprochen, immer mir gegenüber von allen Großen, die er bewunderte, gesprochen und mit Eindringlichkeit mich immer wieder schon als Kind auf
das Große
hingewiesen und auf das Große gedeutet und mir das Große zu deuten versucht, die Aussichtslosigkeit, mir die Kunst des Geigenspielens beizubringen, aber war von Geigenstunde zu Geigenstunde offensichtlicher, für meinen Großvater, den ich liebte, hatte ich im Geigenspielen ja weiterkommen wollen, etwas erreichen wollen in der Geigenkunst, aber der Wille, meinem Großvater den Gefallen zu tun, ihm den Wunsch, ein
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