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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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beschäftigt sein,
nur
um überleben zu können, davor ekelte mich, davon war ich angewidert. Wenn ich Menschen sah, ging ich auf sie zu, um erschrocken vor ihnen zurückzuweichen. Das Problem war die niedrige Fürsorgerente, wenn ich sie auf dem Mozartplatz im Fürsorgeamt abholte, schämte ich mich. Ich hatte so viele Fähigkeiten, nur nicht die eine einzige, einer geregelten Arbeit nachzugehen, wie es heißt. Jede Woche hatte ich den Lungenfacharzt aufzusuchen, der in der Saint-Julien-Straße ordinierte und noch heute dort ordiniert, mein Pneu mußte gefüllt werden; im Grunde sehnte ich mich jetzt nach dieser Abwechslung, denn in diesem Lungenfacharzt hatte ich jetzt wieder den einzigen
nützlichen
Gesprächspartner gefunden, einen Menschen, mit welchem ich mich aussprechen konnte. Auch seine Gehilfin war mir sympathisch. Ich weiß nicht, aus was für einem Grund, aber möglicherweise wieder aus dem Grund der Gleichgültigkeit, hatte ich einmal den Termin der Füllung meines Pneumoperitoneums verschlampt. Anstatt wie vorgeschrieben nach zehn Tagen, war ich erst nach drei oder vier Wochen zu meinem Lungenfacharzt gegangen. Ich hatte ihm nicht gesagt, daß ich den Termin überzogen habe, ich legte mich hin, und er füllte mich wie gewöhnlich. Die Folge war eine Embolie. Arzt und Gehilfin stellten mich auf den Kopf und ohrfeigten mich. Diese Methode, kurzentschlossen an mir praktiziert, rettete mir das Leben. Jetzt war ich weit über neunzehn und hatte mir mein Pneumoperitoneum ruiniert und war von einem Augenblick auf den andern wieder soweit, nach Grafenhof fahren zu müssen. Aber ich weigerte mich und fuhr nicht mehr hin.

Ein Kind

Niemand hat gefunden
oder wird je finden.
    Voltaire

Im Alter von acht Jahren trat ich auf dem alten Steyr-Waffenrad meines Vormunds, der zu diesem Zeitpunkt in Polen eingerückt und im Begriff war, mit der deutschen Armee in Rußland einzumarschieren, unter unserer Wohnung auf dem Taubenmarkt in Traunstein in der Menschenleere eines selbstbewußten Provinzmittags meine erste Runde. Auf den Geschmack dieser mir vollkommen neuen Disziplin gekommen, radelte ich bald aus dem Taubenmarkt hinaus durch die Schaumburgerstraße auf den Stadtplatz, um nach zwei oder drei Runden um die Pfarrkirche den kühnen, wie sich schon Stunden später zeigen mußte, verhängnisvollen Entschluß zu fassen, auf dem, wie ich glaubte, von mir schon geradezu perfekt beherrschten Rad meine nahe dem sechsunddreißig Kilometer entfernten Salzburg in einem mit viel Kleinbürgerliebe gepflegten Blumengarten lebende und an den Sonntagen beliebte Schnitzel backende Tante Fanny aufzusuchen, die mir als das geeignetste Ziel meiner Erstfahrt erschien und bei der ich mich nach einer bestimmt nicht zu kurzen Phase der absoluten Bewunderung für mein Kunststück anzuessen und auszuschlafen gedachte. Die auserwählte Klasse der Radfahrer hatte ich von den ersten bewußten Augenblicken meines begierigen Sehens an bewundert, jetzt gehörte ich dazu. Kein Mensch hatte mich diese so lange vergeblich bewunderte Kunst gelehrt, ich hatte, ganz ohne um Erlaubnis zu bitten, das kostbare Steyr-Waffenrad meines Vormunds aus dem Vorhaus geschoben, nicht ohne schmerzendes Schuldbewußtsein, und mich, ohne über das Wie nachzudenken, auf die Pedale gestemmt und war losgefahren. Da ich nicht stürzte, empfand ich mich schon in diesen ersten Augenblicken auf dem Fahrrad als Triumphator. Es wäre ganz gegen meine Natur gewesen, nach einigen Runden wieder abzusteigen; wie in allem trieb ich das nun einmal begonnene Unternehmen bis zum Äußersten. Ohne einem einzigen dafür zuständigen Menschen ein Wort gesagt zu haben, verließ ich auf der luftigen Höhe des Waffenrades und des damit verbundenen Vergnügens den Stadtplatz, um schließlich in der sogenannten Au und dann in der freien Natur Richtung Salzburg die Räder laufen zu lassen. Obwohl ich noch zu klein war, um tatsächlich auf dem Sattel zu sitzen, ich mußte ja, wie alle andern zu kleinen Anfänger, mit dem Fuß unter die Stange durch auf das Pedal, beschleunigte ich zusehends meine Geschwindigkeit, daß es fortwährend bergab ging, war ein zusätzlicher Genuß. Wenn die Meinigen wüßten, was ich, durch einen durch nichts vorher angekündigten Entschluß, schon erreicht habe, dachte ich, wenn sie mich sehen und naturgemäß gleichzeitig, weil sie keine andere Wahl haben, bewundern könnten! Ich malte mir den höchsten, ja den allerhöchsten Grad ihrer Verblüffung aus. Daß mein

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