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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Schorschi imponierte und was nicht, dieses Wissen war die Grundlage meines Berichts. Ich durfte natürlich nicht so laut sein, daß man auf uns aufmerksam wurde. Es war hellichter Tag, als ich mit meinem Bericht zuende war. Ich hatte die Fähigkeit, mein klägliches Scheitern am Ende mit ein paar kurzen Sätzen zu einem Triumph zu machen. Es war mir gelungen: der Schorschi war an diesem Morgen überzeugt, daß ich ein Held bin. Mein Großvater empfing mich mit einem strafenden Blick, gleichzeitig aber mit einem Händedruck, der mir sagte: alles in Ordnung. Was auch geschehen sein mag, es ist verziehen. Meine Großmutter hatte ein köstliches Frühstück auf den Tisch gestellt. Ihr Frühstück liebte ich wie kein zweites. Man wollte gar nicht viel von mir wissen, man freute sich ganz einfach, daß ich da und gesund war. Mein Großvater stand auf und ging an die Arbeit. An die
Romanarbeit
. Darunter stellte ich mir etwas Fürchterliches, gleichzeitig etwas ganz und gar Außergewöhnliches vor. Der Großvater schnürte sich mit einem Ledergurt seine Pferdedecke um den Leib und setzte sich an den Schreibtisch. Meine Großmutter stand auf und verschloß die Polstertür. Ich hatte schon als Kind immer den Eindruck, die beiden seien zusammen die allerglücklichsten Menschen. Sie waren es bis an ihr Lebensende. An diesem Tag waren die Großeltern von meiner Mutter zum Essen geladen. Das war mein Glück. An der Hand meines Großvaters und neben seiner Frau, meiner Großmutter, schritt ich, so behütet, wie ich nur sein konnte, nach Traunstein hinunter. Ich war siegesgewiß. Den Weg von Ettendorf nach Traunstein ging ich schon mit erhobenem Kopf, nicht mit gesenktem wie die umgekehrte Strecke ein paar Stunden vorher. Meine Mutter war mir nicht gewachsen. In Fällen wie diesem mit dem Steyr-Waffenrad schlug sie wild auf mich ein, meistens mit dem auf dem Küchenkasten liegenden Ochsenziemer, ich kauerte, nach Hilfe schreiend, im Bewußtsein allerhöchster Theatralik in der Küchen- oder in der Zimmerecke, mit beiden Händen meinen Kopf schützend. Bei der geringsten Gelegenheit griff sie zum Ochsenziemer. Da mich die körperliche Züchtigung letztenendes immer unbeeindruckt gelassen hat, was ihr niemals entgangen war, versuchte sie, mich mit den fürchterlichsten Sätzen in die Knie zu zwingen, sie verletzte jedesmal meine Seele zutiefst, wenn sie
Du hast mir noch gefehlt
oder
Du bist mein ganzes Unglück, Dich soll der Teufel holen! Du hast mein Leben zerstört! Du bist an allem schuld! Du bist mein Tod! Du bist ein Nichts, ich schäme mich Deiner! Du bist so ein Nichtsnutz wie Dein Vater! Du bist nichts wert! Du Unfriedenstifter! Du Lügner!
sagte. Das ist nur eine Auswahl ihrer von Fall zu Fall gegen mich ausgestoßenen Verfluchungen, die nichts als ihre Hilflosigkeit mir gegenüber bewiesen. Tatsächlich hatte sie mir immer das Gefühl gegeben, daß ich ihr zeitlebens im Wege gestanden bin, daß ich ihr vollkommenes Glück verhindert habe. Wenn sie mich sah, sah sie meinen Vater, ihren Liebhaber, der sie stehengelassen hatte. Sie sah in mir ihren Zerstörer nur allzu deutlich, das gleiche Gesicht, wie ich weiß, denn ich habe immerhin einmal eine Fotografie von meinem Vater gesehen. Die Gleichheit war verblüffend. Mein Gesicht war dem Gesicht meines Vaters nicht nur ähnlich, es war
das gleiche Gesicht
. Die größte Enttäuschung ihres Lebens, die größte Niederlage, als ich auftrat, war sie da. Und sie trat ihr jeden Tag, den ich mit ihr zusammen lebte, entgegen. Ich fühlte naturgemäß ihre Liebe zu mir, gleichzeitig aber immer auch den Haß gegen meinen Vater, der dieser Liebe meiner Mutter zu mir im Weg stand. So war die Liebe meiner Mutter zu mir, dem unehelichen Kind, immer von dem Haß gegen den Vater dieses Kindes unterdrückt, sie konnte sich niemals frei und in der größten Natürlichkeit entfalten. Meine Mutter beschimpfte nicht
mich
im Grunde, sie beschimpfte meinen Vater, der sich ihr entzogen hatte, aus was für einem Grund immer, sie schlug nicht nur auf
mich
ein, sondern auch auf den Verursacher ihres Unglücks, wenn sie mich schlug. Der Ochsenziemer galt nicht nur mir, er galt bei jeder Gelegenheit auch meinem Vater, der von allen, auch von meinem Großvater, vollkommen ignoriert wurde. Er durfte nicht existieren, er war nicht da. Schon früh hatte ich es aufgegeben, nach meinem Vater zu fragen. Sofort waren sie böse auf mich, gleich welche Stimmung vorher gewesen war, nach der Frage nach dem Vater

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