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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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verderbten und vor Scheußlichkeit strotzenden Welt als Verbrecher abgestempelt ist, ein Verbrechen, gleich welches, sei immerhin besser als die absolute Untätigkeit, die das Verabscheuungswürdigste auf der Welt sei. Nun hatte ich, wenn auch zu ganz und gar ungewöhnlicher Zeit, von einer von mir zweifellos ungemein hoch eingeschätzten Tat zu berichten. Bis in die kleinsten Einzelheiten bereitete ich meine dem Großvater vorzutragende Erzählung vor, ich bosselte bereits an meinem Bericht, als ich noch ein paar hundert Meter vom großväterlichen Hause entfernt gewesen war. Mein Großvater wünschte die klare, die knappe Rede, er haßte die Ausschweifung, die Anläufe und Umwege, an welchen die ganze übrige Welt leidet, wenn sie etwas zum besten zu geben hat. Er litt unter der Umständlichkeit seiner Umgebung, die sich nur dilettantisch äußerte und in jedem Falle, wenn sie sich überhaupt etwas zu ihm zu sagen getraute, der Verdammung meines Großvaters sicher gewesen war. Ich kannte seine Abneigung gegen das Umständegeschwätz. Die Halbgebildeten tischen nur immer wieder ihren abgestandenen schauerlichen Brei auf, sagte er. Er war nur von Halbgebildeten umgeben. Es ekelte ihn, wenn sie die Stimme erhoben. Bis an sein Lebensende haßte er ihren Artikulierungsdilettantismus. Wenn ein einfacher Mensch spricht, ist das eine Wohltat. Er redet, er schwätzt nicht. Je gebildeter die Leute werden, desto unerträglicher wird ihr Geschwätz. Ich richtete mich ganz aus nach diesen Sätzen. Einem Maurer, einem Holzfäller können wir zuhören, einem Gebildeten oder einem sogenannten Gebildeten, denn es gibt ja doch nur sogenannte Gebildete, nicht. Leider hören wir immer nur die Schwätzer schwätzen, die andern schweigen, weil sie genau wissen, daß es nicht viel zu sagen gibt. Ich hatte die Höhe des Heiligen Berges erreicht. Die Morgendämmerung gab meiner Ankunft vor dem großväterlichen Hause einen theatralischen Effekt, mein Auftreten begünstigend. Aber noch getraute ich mich nicht in die großväterlichen Mauern. Mehr als vier Uhr früh war es nicht. Ich konnte mich, ich durfte mich nicht schon gleich melden, ich werfe meine ganze Strategie über den Haufen. Ich tat gut daran, alles noch einmal gründlich zu überlegen. Wecke ich die Großeltern auf, bin ich sofort im Nachteil, die Ungehörigkeit ist verletzend, ich mache mich neuerlich schuldig. Das Haus, in welchem die Großeltern schon mehrere Jahre wohnten, gehörte einem Kleinlandwirt, der sechs oder sieben Kühe besaß und mit seiner gebückten, beinahe taubstummen Frau sein Anwesen bewirtschaftete. Es grenzte schon an das Paradies, die Großeltern auf einem richtigen landwirtschaftlichen Anwesen zu wissen, den Geist in der Materie sozusagen. Ich liebte den Stall und die Tiere, ich liebte die Gerüche, ich liebte die Bauersleute. Und umgekehrt. Nein, das war keine Einbildung. Ich durfte zuschauen, wenn die Kühe gemolken wurden, ich fütterte sie, ich reinigte sie, ich war Zeuge, wenn sie kalbten. Ich war beim Ackern, beim Säen, beim Ernten dabei. Im Winter durfte ich bei den Bauersleuten in ihrer Stube sein. Ich war nirgends glücklicher. Und hier, wo ich an sich schon glücklich war, lebten im ersten Stock, um das Glücksgefühl vollkommen zu machen, mein Großvater und meine Großmutter. Von hier aus hatte man einen weiten Blick auf die bayerischen Voralpenberge, auf den Hochfelln, auf den Hochgern, auf die Kampenwand. Man wußte, darunter liegt der Chiemsee. An manchen Tagen, bei einem gewissen Ostwind, pflegte mein Großvater zu sagen, höre man von seinem Balkon aus, wenn man richtig höre, die Glocken von Moskau. Der Gedanke faszinierte mich. Ich hörte die Glocken von Moskau nie, aber ich war mir sicher, daß er sie von Zeit zu Zeit hörte. Traunstein unten liegt auf einem Moränenhügel, aber Ettendorf liegt noch viel höher, sozusagen vom Berg der Weisheit blickte man auf die Niederungen des Kleinbürgertums hinunter, in welchem, wie mein Großvater zu sagen nicht müde wurde, der Katholizismus sein stumpfsinniges Szepter schwang. Was unterhalb Ettendorf lag, war nur die Verachtung wert. Der kleine Geschäftsgeist, der Kleingeist überhaupt, die Gemeinheit und die Dummheit. Blöd wie die Schafe scharen sich die Kleinkrämer um die Kirche und blöken sich tagaus, tagein zutode. Nichts sei ekelerregender als die Kleinstadt, und genau die Sorte wie Traunstein sei die abscheulichste. Ein paar Schritte in diese Stadt hinein, und man sei schon

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