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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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war sie verfinstert. Ich mußte einen Schwerverbrecher ganz besonderer Niederträchtigkeit zum Vater gehabt haben nach allem, was sie mir über meinen Vater nicht gesagt hatten. Ich liebte meine Mutter aus ganzem Herzen, umgekehrt liebte meine Mutter auch mich wenigstens in dem gleichen Maße, aber diese gegenseitige Liebe war, solange meine Mutter lebte, von dem für mich unsichtbaren Unhold an ihrer Entfaltung gehindert. Der unsichtbare Mann, von dem es hin und wieder hieß, daß er nur aus Lügen und aus Gemeinheit bestand, war der lebenslängliche Spielverderber.
Lange Briefe, ja, aber alles Gemeinheiten. Viel Versprechungen, ja, aber alles Lügen. Ja, eine Kunst beherrschte Dein Vater, die Kunst der Lüge!
so meine Mutter. Warum auch mein Großvater schwieg, war mir ein Rätsel und ist mir bis heute ein Rätsel geblieben.
Genial, aber abgrundtief infam!
hatte meine Mutter sehr oft gesagt.
In Frankfurt an der Oder hat er noch fünf Kinder gemacht, lauter solche Kreaturen wie Du!
und so weiter. Der Ochsenziemertortur war ich entgangen, wenigstens vorläufig. Mein Großvater schob mich an meiner wütenden, aber schweigenden Mutter vorbei in das sogenannte Wohnzimmer, wo schon das Essen bereitstand. Wir setzten uns. Meine Mutter bebte vor Wut, während wir wortlos aßen, gleichzeitig sah ich den hohen Grad ihrer Verzweiflung, und ich fühlte, wie ich sie aus ganzem Herzen liebte und umgekehrt. Irgendwann einmal war von ihr gesagt worden, daß sie auch die Polizei verständigt habe. Und die ganze Nachbarschaft alarmiert. In der Frühe habe sie das vollkommen demolierte Rad unten an der Hauswand entdeckt. Eine ungeheure Schande! Dazu kam auch noch der ausgebliebene Schulbesuch. Ich sei ein Versager, wenn ich es zum Maurerpolier brächte, das wäre schon von allen weiteren Zielen das höchste. Immer drohte sie mir mit dem Wort
Maurerpolier
, es war eine ihrer geschliffensten Waffen. Tatsächlich stach sie mir mit diesem Wort direkt ins Herz. Im Grunde hat sie recht, mußte ich denken, denn ich lernte in der Schule so wenig wie kein zweiter, und meine Lehrer gaben auf mich keinen Heller. Ich konnte tatsächlich nicht die einfachste Rechnung ausrechnen, jedes Diktat endete mit einer Katastrophe, das sogenannte Sitzenbleiben wurde mir angedroht. Ich fand wenig Interesse an dem mir vermittelten Lehrstoff, er langweilte mich unendlich, das war der Grund für mein Desinteresse, das niemandem, am wenigsten meinen Lehrern, verborgen blieb. Mein Großvater sagte nur immer, ich müsse einfach durchkommen, wie, sei vollkommen gleichgültig, er halte nichts von Noten, Aufsteigen sei wichtig, sonst nichts. Aber jetzt zweifelte ich, überhaupt aufsteigen zu dürfen. Am Ende hatte mich immer ein Wunder gerettet, das ganze Jahr waren meine Leistungen immer nur genügend und ungenügend gewesen, wenn es darauf ankam, aufzusteigen, stieg ich auf. Ich verließ mich auf diesen Mechanismus. Mein Großvater schien diesem Mechanismus mit der gleichen Sicherheit zu vertrauen. Er nahm die Debatte über Aufsteigen oder nicht, die bei Tisch jedesmal abgehandelt wurde, nicht im geringsten ernst. Ich sei überdurchschnittlich intelligent, die Lehrer kapierten das nicht,
sie
seien die Stumpfsinnigen, nicht ich,
ich
sei der Aufgeweckte,
sie
seien die Banausen. Wenn meine Großeltern bei uns zum Essen waren, gab meine schulische Existenz so lange den Gesprächsstoff ab, bis mein Großvater mit der Bemerkung, ich sei ein Genie, dem Spuk ein Ende machte. An diesem Tag wurde in Anbetracht meines überdurchschnittlich verwerflichen Vergehens oder gar Verbrechens, weil sie alle Angst davor hatten, gar nicht von der Schule gesprochen. Sie hüteten sich, überhaupt auf die in Frage stehende Hauptsache an diesem Tage einzugehen, sie erwähnten mich außer mit der einen Bemerkung meiner Mutter, daß sie auch die Polizei verständigt habe und die ganze Nachbarschaft, nicht. Ich weiß nicht mehr, über was sie redeten, jedenfalls nicht über mich. Meine Mutter war keine Erzieherin, das Verhalten meines Großvaters in diesem und in ähnlichen Fällen tatsächlich fatal. Jedenfalls bei objektiver Betrachtung. Mein Großvater liebte das Chaos, er war Anarchist, wenn auch nur im Geiste, meine Mutter dagegen versuchte zeitlebens in einer bürgerlichen, wenigstens in einer kleinbürgerlichen Welt Fuß zu fassen, was ihr natürlich niemals gelingen konnte. Mein Großvater liebte das Außergewöhnliche und das Außerordentliche, das Entgegengesetzte, das

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