Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
wurde, war mein Geburtsort nicht zufällig Heerlen in den Niederlanden, wohin meine Mutter auf den Rat einer in Holland arbeitenden Freundin aus Henndorf geflohen war in dem Augenblick, in welchem ich mich ganz entschieden zum endgültigen Eintritt in die Welt meldete, ich forderte ein rasches Gebären. In Henndorf, dem kleinen Nest, wäre meine Geburt völlig unmöglich gewesen, ein Skandal und die Verdammung meiner Mutter wären die unausbleibliche Folge gewesen in einer Zeit, die uneheliche Kinder nicht haben wollte. Meine Großtante Rosina hätte ihre Nichte Herta, meine Mutter, aus dem Haus geworfen und ihr weiteres Leben durch die Schande einer unehelichen Geburt, noch dazu des Kindes eines
Gauners
, wie man meinen Vater am häufigsten bezeichnete, verdüstert, und sie wäre die restlichen Jahrzehnte nur noch in schwarzer Kleidung ins Dorf gegangen und selbstverständlich auch da nur auf den Friedhof und wieder zurück. Meine Mutter mußte schon neunzehnhundertdreißig, während ihre Eltern in der Wernhardtstraße in Wien lebten, eine Zeitlang bei ihrer Tante Rosina gelebt haben, in jenem Henndorf, das sie wie keinen anderen Ort auf der Welt liebte und wo sie seit dem Jahr fünfzig begraben ist auf ihren Wunsch. Mein Vater, Sohn eines Landwirts aus der Umgebung, der, wie das üblich gewesen ist, zu dem völlig natürlichen Beruf des Bauern auch noch ein Handwerk erlernt hatte, in seinem Falle die Tischlerei, mußte in dieser Zeit mit ihr in näheren und allernächsten Kontakt gekommen sein. Darüber ist mir nichts weiter bekannt. Es heißt, die beiden trafen sich des öfteren in einem sogenannten Salettl im Apfelgarten der Tante Rosina. Das ist wirklich alles, was ich über meine Entstehungsgeschichte weiß. Nun entfloh sie dem Ort ihrer Schande nach Holland, wo sie bei der erwähnten Freundin in Rotterdam Aufnahme fand. Kurz darauf war sie in Heerlen, in einem Kloster, das nebenbei auch noch auf sogenannte gefallene Mädchen spezialisiert war, von einem Knaben entbunden, der neugeboren, wie ich auf einer erhalten gebliebenen Fotografie sehen kann, soviel Haare hatte, wie ich noch auf keinem neugeborenen Kopf gesehen habe. Ich soll ein fröhliches Kind gewesen sein. Meine Mutter, wie alle Mütter, eine glückliche. Henndorf entkam dem Skandal, und die Tante Rosina konnte wieder ruhig schlafen. Der Vater meiner Mutter, mein Großvater, hatte keine Ahnung von mir. Ein Jahr lang getraute sich meine Mutter nicht, meinen Großeltern in Wien meine Geburt zu melden. Was sie fürchtete, weiß ich nicht. Der Vater als Romanschreiber und Philosoph durfte in seiner Arbeit nicht gestört werden, ich glaube fest, das war der Grund, warum mich meine Mutter so lange verschwieg. Mein Vater hat mich niemals anerkannt. Die Möglichkeit, mich in dem Kloster bei Heerlen zu lassen, war nur kurz gewesen, meine Mutter mußte mich abholen, in einem von ihrer Freundin geliehenen kleinen Wäschekorb reiste sie mit mir nach Rotterdam zurück. Da sie nicht ihren Lebensunterhalt verdienen und gleichzeitig bei mir sein konnte, mußte sie sich von mir trennen. Die Lösung war ein im Hafen von Rotterdam liegender Fischkutter, auf welchem die Frau des Fischers Pflegekinder in Hängematten unter Deck hatte, sieben bis acht Neugeborene hingen an der Holzdecke des Fischkutters und wurden jeweils nach Wunsch der ein- oder zweimal wöchentlich erscheinenden Mutter von der Decke heruntergelassen und hergezeigt. Ich hätte jedesmal jämmerlich geschrien und mein Gesicht sei, solange ich auf dem Fischkutter gewesen sei, von Furunkeln übersät und verunstaltet gewesen, da, wo die Hängematten hingen, seien ein unglaublicher Gestank und ein undurchdringlicher Dunst gewesen. Aber meine Mutter hatte keine andere Wahl. Sie besuchte mich, wie ich weiß, sonntags, denn die Woche über arbeitete sie als Haushaltshilfe, um sich erhalten und die Gebühr für meinen Schiffsaufenthalt bezahlen zu können. Der Vorteil war, daß sie auf diese Weise sozusagen die Welt kennenlernte, der größte Hafen Europas war dazu am besten geeignet. Mir ist nicht viel über diese Zeit bekannt. Immerhin kann ich sagen, daß ich mein erstes Lebensjahr, die ersten Tage abgerechnet, ausschließlich auf dem Meer verbracht habe, nicht
am
Meer, sondern
auf dem
Meer, was mir immer wieder zu denken gibt und in allem und jedem, das mich betrifft, von Bedeutung ist. Dieser Umstand wird für mich lebenslänglich eine Ungeheuerlichkeit sein. Im Grunde bin ich ein Meermensch, erst, wenn ich
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