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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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nicht so gut. Warum muß auch gleich immer die Polizei eingeschaltet werden? sagte mein Großvater. Meine Eskapaden seien nichts Neues. Ich sei schon so oft ausgeblieben. Und jedesmal wieder nachhause gekommen. Das ist ja das Geniale an ihm, sagte er über mich, daß er etwas unternimmt, das andere nicht unternehmen. Das Rad kann repariert werden. Eine Kleinigkeit. Jetzt kann er wenigstens radfahren. Das sei ein Vorteil. Man denke nur, was ein Radfahrer alles erledigen könne. Du kannst nicht radfahren, ich kann nicht radfahren, sagte er zu meiner Mutter. Meine Großmutter konnte auch nicht radfahren. Emil (mein Vormund) ist nicht da, das Rad verrostet nur im Vorhaus. Im Grunde sei es eine geniale Idee gewesen, das Rad aus dem Vorhaus hinauszufahren und aufzusteigen.
Und dann gleich nach Salzburg!
rief er aus. Wenn man alles in allem in Betracht zieht, eine ganz außerordentliche Leistung. Nur daß du nicht sagtest, was du vorhast, war ein Fehler, sagte er zu mir. Gleich darauf aber: natürlich, ein solches Vorhaben muß geheim bleiben, damit es gelingen kann. Er sah gar nicht ein, daß ich gescheitert sein sollte. Man denke, sagte er, er besteigt zum erstenmal ein Fahrrad und fährt gleich fast bis nach Salzburg. Mir persönlich imponiert diese Tatsache. Meine Mutter schwieg, es blieb ihr nichts anderes übrig. Er zählte eine Reihe eigener Kindheitseskapaden auf. Wenn wir es den Eltern schwer machen, wird etwas aus uns, sagte er. Gerade diese sogenannten schwierigen Kinder werden etwas. Und gerade sie lieben ihre Eltern über alles, mehr als alle anderen. Aber das verstehen die Eltern nicht. Das verstehst du nicht, sagte er zu meiner Mutter. Gekochtes Rindfleisch war seine Lieblingsspeise. Und die Suppe aus diesem Rindfleisch. Das verstand ich nicht, denn ich haßte Rindfleisch, mich ekelte davor. Heute weiß ich, daß man erst im Alter Rindfleisch liebt, nicht als Kind. Er aß es mit größtem Vergnügen, langsam, die ganze Zeremonie weitete er zu einem einzigen unübertrefflichen Genuß. Alle diese Kleinstadtkinder, was wird aus ihnen? sagte er. Wir begegnen ihnen am Ende als ausgefressene Handwerker, die ihr Handwerk nicht verstehen, oder als Geschäftemacher mit einem dicken Bauch, die sich jeden Abend vollaufen lassen. Allen diesen Leuten ist der Spruch, den ihre Weiber in die Küchentücher gestickt haben und der da lautet
Die Liebe geht durch den Magen
die einzige Poesie. Das ist die Wahrheit. Wir sollten immer daran denken, daß es auch noch etwas anderes auf der Welt gibt als die Gewöhnlichkeit. Aber wir sind umgeben von Gemeinheit und ersticken jeden Tag unweigerlich in der Dummheit. Was habe ich getan, um hier in diesem aller Beschreibung spottenden Drecknest existieren zu müssen. Dabei habe ich ja noch Glück, sagte er, Ettendorf ist nicht Traunstein. Immerhin, ich lebe ja nicht in der Kleinstadt, ich lebe auf dem Land. Andererseits: was habe
er
nicht alles getan, um aus dem Dorfdreck herauszukommen, schon mit sieben, acht Jahren habe er den Entschluß gefaßt, wegzugehen, man muß so bald als möglich aus dem Dreck heraus, man darf den richtigen Zeitpunkt nicht übersehen. Zuerst sollte er, nachdem sein älterer Bruder an die grauenhafte Försterei verloren gewesen war, wie sein Vater Buttergroßhändler, Gastwirt, Grundstückespekulant sein. Als sie einsahen, daß mit ihm nicht zu rechnen war, schickten sie ihn in das Priesterseminar nach Salzburg.
Ich und Pfarrer!
rief er oft aus. Immerhin war ein entscheidender Schritt getan, der Enge zu entkommen, in die ich hineingeboren war, sagte er. Den Leuten den Lohn herauszulocken und sie betrunken zu machen und damit Zug um Zug den Besitz zu vergrößern, dazu hatte er keine Lust. In Salzburg sei er auf den Geschmack gekommen:
Schopenhauer, Nietzsche, ich wußte gar nicht, daß es so etwas gibt
, sagte er. Mein Vater konnte nicht einmal rechtschreiben, meinte er oft voll Stolz. Und ich entwarf Romane, Riesenromane. Nein, das Kind muß neugierig sein, dann ist es gesund, und man muß seiner Neugierde freien Lauf lassen. Es fortwährend anzubinden, ist verbrecherisch und eine gemeine Dummheit. Das Kind soll
seinen
Ideen nachgehen, nicht den Ideen seiner Erzieher, die nur wertlose Ideen haben. Man denke, er reist mehr als wir alle, und das auch noch kostenlos, nur mit der Bahnsteigkarte! Seine Feststellung, mit welcher er die Tafel aufhob, amüsierte ihn offensichtlich. Ich hatte immer Schwierigkeiten gemacht. Neunzehnhunderteinunddreißig, als ich geboren

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