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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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überhaupt so etwas gibt, bewunderte. Auf diese Weise lernte meine Mutter ihren späteren Mann, meinen Vormund, kennen. Die materielle Not war bitter. Es war die Zeit der größten Arbeitslosigkeit und der höchsten Selbstmordrate. Auch mein Großvater soll täglich mit Selbstmord gedroht haben. Unter seinem Kopfpolster soll er eine schußbereite Pistole liegen gehabt haben. Es war eine Dummheit, auf mein väterliches Erbe zu verzichten, hat er später gesagt, der junge Mensch rennt einem unsinnigen Ideal nach und wirft alles hin. Als er einmal von Wien aus seiner Schwester Rosina geschrieben hatte, er würde sich gern ein paar Wochen in ihrem Hause, das doch auch sein Haus sein könnte, von der Bitterkeit und Scheußlichkeit Wiens erholen, schrieb sie ihm postwendend, sie hätte kein Zimmer frei. Diese Enttäuschung erwähnte er oft. Seine Erfahrung, daß der Idealist, wenn er sich in früher Jugend einer Partei verschreibt, schließlich und endlich einem tödlichen Betrug aufgesessen ist, war dem Sohn Farald gleichgültig. Der Großvater war in seiner Jugend den Sozialisten in die Arme gelaufen und hatte sich für sein Leben verbrannt, nun war der Sohn den Kommunisten in die Arme gelaufen. Für jeden in der Familie waren die Folgen vorauszusehen, nur für den Betroffenen nicht. Er vertiefte sein Bündnis mit den Kommunisten und versetzte seine Familie damit in Angst und Schrecken. Da er den Emil Fabjan mit hineingezogen hatte, versetzte er auch die in der Hasnerstraße wohnenden Eheleute Fabjan in eine Schreckenszeit. Ganz abgesehen von den vielen anderen Familien, die durch meinen fanatischen Onkel, zweifellos neben meinem Großvater der Gescheiteste der Familie, in Gefahr, ja tatsächlich in Lebensgefahr gebracht wurden, denn alles, was er tat und vorantrieb und in Szene setzte, war illegal. Der Umgang mit meinem Onkel war immer der interessanteste, gleichzeitig aber auch der gefährlichste. Viel zu spät ist sein Ideal von der Zeit zerrissen worden, die Fetzen waren nicht mehr zusammenzuflicken. Aus diesen Wiener Jahren, welche so bitter waren für die Meinigen, sind mir nur Bilder bekannt, auf welchen ich wohlgenährt bin und einen lebensfrohen Eindruck mache. Gutgekleidet herrsche ich von den verschiedensten Thronsesseln herunter, von ganz ausgefallenen, zeitgemäßen Wagen und Schlitten, und keinem dieser Bilder, allesamt Fotografien, fehlt eine gewisse, mich noch heute ungemein stolz machende Eleganz. So sahen die Kinder aus den Herrscherhäusern aus, dachte ich oft. Es kann mir also nicht schlecht gegangen sein. Die Landschaft um den Wilhelminenberg ist mild überstrahlt von der Nachmittagssonne, mein Ich, auf welches sich alles übrige konzentriert, fordert die totale Bewunderung. Für die Meinigen, die damals schon zwanzig Jahre in der Wernhardtstraße lebten, war diese Zeit wahrscheinlich die schlimmste. In meinem Besitz habe ich eine Menge Fotografien, wo sie alle beinahe bis auf das Skelett abgemagert in ihren Anzügen und Kleidern stecken. Sie mußten das damalige Wien als Hölle empfinden, in welcher es jeden Tag um alles ging. Aus dieser Hölle wollte mein Großvater so schnell wie möglich heraus, selbst um den Preis, dahin zurückzukehren, woraus er dreißig Jahre vorher geflohen war. Immerhin hatte er diese dreißig Jahre gearbeitet und war in der totalen Erfolglosigkeit steckengeblieben, in diesen dreißig Jahren hatte er zwar einen Roman verlegt, auf eigene Kosten, der Titel lautete
Ulla Winblatt
, aber dieses Buch war, wie er selbst mir einmal erzählte, von der großen Ziege aufgefressen worden, die sich meine Großeltern in Forstenried bei München hielten, wo sie, weil sie die Romantik liebten, in einer Waldlichtung gelebt haben, aus der sie den ganzen Winter nicht mehr herauskonnten, weil sie dann eingeschneit waren. Die Ziege war noch verhungerter als wir, sagte mein Großvater, sie ließ von
Ulla Winblatt
nichts übrig. Kleinere Lektorenposten gab er sofort wieder auf, weil es ihm widerwärtig war, fortwährend bei irgendeinem skrupellosen Verleger zu antichambrieren. Er war ein Einzelmensch, er war gemeinschaftsunfähig, untauglich also für jede Anstellung. Bis zu seinem fünfundfünfzigsten Lebensjahr verdiente er praktisch nichts. Er lebte von Frau und Tochter, die bedingungslos an ihn glaubten, und schließlich auch noch von seinem Schwiegersohn. Meine Mutter heiratete meinen Vormund neunzehnhundertsiebenunddreißig in Seekirchen am Wallersee, wohin die Meinigen zu Anfang des Jahres

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