Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Ort der absoluten Bedürfnislosigkeit, der wegen seines Sees beliebt war, der nicht tief und daher immer recht warm war. Aber trostlos. Umgeben von Schilf, wenn man hineinstieg, watete man in einer braunen Brühe. Aber daß in den Ort, der mich nur noch trauriger machte, als ich schon war, eine eigene Bahn führte, die auch Waggons der zweiten Klasse hatte und nicht nur der dritten, beeindruckte mich. Irgendwie, sagte ich mir, muß der Ort eine Bedeutung haben, die man, oberflächlich betrachtet, nicht sehen kann. Die gleiche Methode, daß ich mir nämlich eine Bahnsteigkarte aus dem Automaten herausholte und damit ungehindert passieren konnte an der Sperre, wendete ich bei der Rückfahrt an. Ich wußte, der Schaffner bleibt die ganze Strecke auf der Plattform des letzten Wagens sitzen und kontrolliert nicht. Wäre er gekommen, hätte ich mich in eine Toilette verzogen, aber er kam nicht. Ungefähr um die Zeit, da Schulschluß gewesen war, erschien ich zuhause. Meine Mutter wußte nichts von meiner Reise. Ich warf die Schultasche auf die Küchenbank und setzte mich zum Mittagessen. Ich spielte mein Theater, aber ich spielte es nicht gut genug, und meine Mutter hat sofort Verdacht geschöpft. Schließlich gestand ich meine Ungeheuerlichkeit ein. Bevor meine Mutter noch zum Ochsenziemer griff, der schon seinen Platz auf dem Küchenkasten gefunden hatte, war ich aufgesprungen und hatte mich in der Ecke neben der Tür zusammengekrümmt. Sie schlug so lange auf mich ein, bis eine der Schwestern Poschinger von unten heraufgelaufen kam, um die Ursache meines jämmerlichen Geschreis zu erkunden. Es war Elli, die Älteste. Meine Mutter hatte aufgehört, mich zu schlagen, in ihrer Hand bebte noch der Ochsenziemer, die Poschinger Elli fragte, was ich denn nun schon wieder getan hätte, tatsächlich, ich war ein furchtbares Kind, ein
Unfriedenstifter
, wie sie es nannte. Mehrere Male sagte die Poschinger Elli, sie hatte sich sozusagen als Assistentin meiner Mutter neben dieser aufgestellt, das Wort
Unfriedenstifter
. Dieses Wort traf mich ins Herz. Von diesem Zeitpunkt an, da sie das Wort
Unfriedenstifter
zum erstenmal ausgesprochen hatte, fürchtete ich die Poschinger Elli. Sie war stark, hünenhaft, aber durch und durch gutmütig, was ich nicht wissen konnte. Als erste der Poschingertöchter heiratete sie und verlor ihren Mann im Krieg schon wenige Wochen nach der Hochzeit. Der Zufall wollte es, daß ihn ausgerechnet mein Vormund, der wie der Mann der Poschinger Elli im montenegrinischen Karst eingerückt gewesen war, zum letztenmal gesehen hatte. Mein Vormund setzte sich oft zur Poschinger Elli, wenn diese ihrer Traurigkeit freien Lauf lassen mußte, und sagte:
aus einem Steinloch hat er herausgeschaut
. Worauf die Poschinger Elli jedesmal in Tränen ausbrach. Ich war der Talentierteste, gleichzeitig der Unfähigste, was die Schule betrifft. Meine Talente waren nicht, wie man glauben möchte, meinem Schulfortschritt förderlich, sie behinderten alles in höchstem Maße. Im Grunde war ich viel weiter als alle anderen, und der Unterrichtsstoff, den ich aus Seekirchen mitgebracht hatte, war ein viel umfangreicherer als der, in welchem meine Mitschüler steckten, mein Unglück war, daß ich meine geradezu krankhafte Abneigung gegen die Schule, die mir mein Großvater eingetrichtert hatte jahrelang, nicht imstande war aufzugeben und die Maxime meines Großvaters, daß die Schulen Fabriken der Dummheit und des Ungeistes seien, noch immer über allem, das ich über die Schule dachte, leuchtete und die einzige bestimmende für mich war. Meine Mutter sprach mit den Lehrern, und diese sagten, mich betreffend, absolut nichts anderes als eine Katastrophe voraus. Meine Mutter schob alles auf die Übersiedlung, mein Großvater nahm mich, nicht die Schule in Schutz. Ich stieg jeden Tag in die Hölle der Schule hinunter, um in die Vorhölle der Schaumburgerstraße heimzukehren und am Nachmittag auf den Heiligen Berg zu meinem Großvater. Höchstes Glück bedeutete für mich, auf dem Heiligen Berg zu übernachten. Ich hatte mein Schulzeug schon mit und lief am Morgen direkt vom Heiligen Berg in die Hölle. Die Teufel peinigten mich mit immer größerer Unverschämtheit. In dieser Zeit gehörte Österreich plötzlich zu Deutschland, und das Wort Österreich durfte nicht mehr ausgesprochen werden. Man sagte ja hier schon lange nicht mehr
Grüßgott
, sondern
Heil Hitler
, und am Sonntag sah man in Traunstein nicht nur die betenden schwarzen,
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