Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
und völlig von dieser Geschichtslüge beherrscht gewesen, war ich es jetzt (im Gymnasium) der katholischen. Mein Großvater hatte mich aber hellhörig gemacht für diese Tatsache und ich war nicht angekränkelt, so schwer es für mich gewesen war, nicht aufeinmal angekränkelt zu sein, also von einem Augenblick auf den andern (vor Kriegsende) nationalsozialistisch, (nach Kriegsschluß) katholisch zu sein oder wenigstens vom Nationalsozialismus wie von einer ansteckenden Krankheit, und der Nationalsozialismus wie der Katholizismus sind anstekkende Krankheiten,
Geistes
krankheiten und sonst nichts, angesteckt zu sein. Ich war nicht von diesen Krankheiten angesteckt, weil ich durch die Vorsorge meines Großvaters
immun
dagegen gewesen war, aber gelitten habe ich darunter, wie nur ein Kind in meinem Alter darunter hatte leiden können. In vielen Salzburgern erkenne ich immer wieder den Präfekten, der für mich Nationalsozialist
und
Katholik in einem gewesen ist, eine Menschenform als Geisteshaltung, die in Salzburg die weitverbreitetste ist und von welcher diese Stadt bis heute vollkommen beherrscht ist. Hier haben selbst die, die sich Sozialisten nennen, ein Begriff, der sich mit dem Hochgebirgsboden und insbesondere mit dem salzburgischen Hochgebirgsboden überhaupt nicht vertragen
kann
, nationalsozialistische und katholische Züge in einem, jedenfalls ist diese Menschenmischung als solche jeden Tag für den Besucher erkennbar, und sie demonstriert in jeder ihrer Handlungsweisen eine katholisch-nationalsozialistische Geisteshaltung. Aber ich deute nur an. Das Gymnasium, jetzt, zum Unterschied von der Kriegshauptschule, ein genau funktionierender, durch nichts von außen gestörter Unterrichtsapparat, war ein gutes Beispiel für mich gewesen, die
Geistesinnereien
des ganzen salzburgischen Stadtkörpers zu studieren: es war naturgemäß wie in allen andern Gymnasien auch der Geist vergangener Jahrhunderte gewesen, welcher sich hier dem Betrachter und vor allem dem Schüler einer solchen Schule als Opfer ihres Systems in jedem Augenblick und unter allen möglichen Gesichtspunkten dokumentierte. Dieses Gebäude also, welches einmal die Alte Universität gewesen war, mit seinen langen Gängen und weißgekalkten Gewölben mehr ein Klosterbau als eine Schule, hatte tatsächlich bei meinem Eintritt in das Gymnasium, also in dem Augenblick meines Aufstiegs von der Hauptschule, der sogenannten Andräschule, in diese höchste Mittelschule, Ehrfurcht und Staunen in mir hervorgerufen und mir aufeinmal, aufgenommen in diese mit dem
altehrwürdigen Hause
immer schon verbunden gewesenen höheren Weihen, die Erkenntnis vermitteln und fühlen lassen, daß ich selbst jetzt, tagtäglich in diese Schule eintretend und in ihr die Marmortreppen emporsteigend, wie sie etwas Höheres sei. Und welcher, ganz gleich, ob aufeinmal nur aus den umliegenden Gassen oder, wie ich, aus den Wäldern und vom Lande in das Gebäude hereingekommene junge Mensch wäre nicht stolz gewesen bei seinen ersten offiziellen Schritten als Schüler in diesem strengen Bauwerk, aus welchem, wie es immer wieder heißt, seit Jahrhunderten die Elite des Landes hervorgegangen ist. Aber die Ehrfurcht und die in jedem Falle geisteshemmende Hochachtung waren bald abgebaut gewesen in den ersten Unterrichtswochen, und was vor meinem Eintritt in das Gymnasium für mich (wie auch für meinen Großvater, der diesen Eintritt gewünscht hatte!) ein großer Schritt nach vorne gewesen war, hatte sich bald als große Enttäuschung herausgestellt. Die Methoden in diesem Gebäude, das sich so selbstbewußt Gymnasium und noch selbstbewußter Staatsgymnasium nannte und heute noch nennt, waren im Grunde die gleichen gewesen wie die Methoden in der von diesem Gymnasium aus immer schon verachteten Andräschule als Hauptschule, und bald war ich durch meinen Beobachtungsmechanismus in der kürzesten Zeit auch hier in diesem Gymnasium allem gegenüber feindlich eingestellt. Die Professoren waren nur die Ausführenden einer korrupten und im Grunde immer nur geistesfeindlichen Gesellschaft und deshalb ebenso korrupt und geistesfeindlich, und ihre Schüler waren von ihnen angehalten, genauso korrupte und geistesfeindliche Menschen als Erwachsene zu werden. Der Unterricht entfernte mich immer weiter von jeder natürlichen Geistesentwicklung, in den unerträglichen Schraubstock einer die Geschichte als toten Gegenstand fälschlich als eine Lebensnotwendigkeit ausgebenden und predigenden
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