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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Internats und seiner Einrichtungen waren diese übriggebliebenen Zeichen der mir nichts als bösen Zeit übersehen worden. Alles in allem war aber die im Gegensatz zu den letzten Kriegsmonaten hier herrschende Ruhe das Auffallendste gewesen, und die Nächte waren wieder zum Schlafen und völlig ohne Angst gewesen. Aber in Träumen war ich noch jahrelang sehr oft von Alarmsirenen aufgeweckt und aufgeschreckt worden, von dem Schreien der Frauen und Kinder in den Stollen, von dem Brummen und Dröhnen der Flugzeuge in der Luft, von ungeheuerlichen, die ganze Erde erschütternden Detonationen und Explosionen. Und bis heute habe ich solche Träume. Ich sehe den Onkel Franz heute nur mit auf dem Rücken verschränkten Armen zwischen den Stehpulten hin und her gehen auf der Lauer nach einem Nachlassen der Studierintensität eines Zöglings, hatte er ein solches tatsächliches Nachlassen der Studierintensität oder auch nur eine Nachlässigkeit an einem Zögling entdeckt, und er entdeckte fast immer ein solches Nachlassen oder eine solche Nachlässigkeit, schlug er dem Betreffenden und Betroffenen von hinten mit der Faust auf den Kopf. Jetzt hatte ich vor einem solchen Menschen wie dem Präfekten, der dem Grünkranz in seiner sadistischen Konsequenz in nichts nachgestanden war, keine so große Angst mehr, meine Angst war aufeinmal, wahrscheinlich, weil sie schon eine solche jahrelang in einem solchen intensiven Verhältnis von Macht und Ohnmacht bis in die äußersten Gefühls- und Verstandesmöglichkeiten hinein geschulte gewesen war, nicht mehr so groß wie die der anderen, also im Johanneum hatte ich vor den Methoden des Präfekten, die im Grunde nichts anderes als die Methoden des Grünkranz gewesen waren, weniger Angst gehabt als vor den Methoden des Grünkranz selbst, aber die neu ins Internat Eingetretenen hatten
jetzt die größte Angst
, ich hatte mich mit diesem sadistischen Züchtigungsritual abgefunden gehabt, es schmerzte mich zwar als Betroffenen, aber es hatte keinerlei Zerstörungswirkung, Vernichtungswirkung in mir mehr gehabt, weil ich ja schon zerstört und vernichtet gewesen war. Beinahe vollkommene Übereinstimmung der Züchtigungsmethoden des nationalsozialistischen Regimes im Internat und des katholischen hatte ich feststellen können, hier, im katholischen Internat, hatte es wieder, wenn auch unter anderem Namen und nicht in Offiziers- oder SA-Stiefeln, sondern in solchen schwarzen Stiefeletten der Geistlichkeit und nicht im grauen oder braunen, sondern im schwarzen Rock und nicht immer mit glänzenden Schulterbändern, sondern in dem mit Papierkrägen ausgestatteten Präfekten, einen Grünkranz gegeben, wie der Grünkranz der sogenannten Naziära schon der Präfekt gewesen war. An dieser Stelle muß ich wieder sagen, daß ich notiere oder auch nur skizziere und nur andeute, wie ich damals
empfunden
habe, nicht wie ich heute
denke
, denn die Empfindung von damals ist eine andere gewesen als mein Denken heute, und die Schwierigkeit ist, in diesen Notizen und Andeutungen die Empfindung von damals und das Denken von heute zu Notizen und Andeutungen zu machen, die den Tatsachen von damals, meiner Erfahrung als Zögling damals entsprechen, wenn auch wahrscheinlich nicht gerecht werden, jedenfalls will ich den Versuch machen. In dem Präfekten habe ich tatsächlich immer den Geist, und zwar den vollkommen unbeschädigten Geist des Grünkranz gesehen, der Grünkranz war von der Nachkriegsbildfläche verschwunden, wahrscheinlich eingesperrt, ich weiß es nicht, aber in dem Präfekten war er mir immer gegenwärtig gewesen, auch die Körperhaltung des Präfekten ist wie die Körperhaltung des Grünkranz gewesen, beinahe alles an und wahrscheinlich auch in dem Menschen, der, diese Vermutung ist wahrscheinlich die Wahrheit, ein durch und durch unglücklicher Mensch gewesen war
wie der Grünkranz
, es hatte alles nur einen anderen Anstrich und alles hatte nur andere Bezeichnungen, die Wirkungen und die Auswirkungen waren die gleichen gewesen. Jetzt pilgerten wir ganz einfach gleich nach der ebenso wie in der Nazizeit ungründlichen Reinigungsprozedur in die
Kapelle
, um die Messe zu hören und um die Heilige Kommunion zu empfangen, genauso wie in der Nazizeit in den
Tagraum
, um die Nachrichten und die Instruktionen des Grünkranz zu hören, sangen jetzt Kirchenlieder, wo wir vorher Nazilieder gesungen hatten, und der Tagesablauf gestaltete sich auf katholisch als der gleiche im Grunde menschenfeindliche

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