Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
andererseits, in den Zug gestiegen bin, um nach Freilassing zu fahren und von dort nach Traunstein. Diese Grenzgänge waren notwendig gewesen, weil ich in Salzburg niemanden gehabt habe, der mir die Wäsche gewaschen hätte, und auch niemanden, mit dem ich hätte reden können, und weil der junge Mensch, wenn möglich immer, so oft er kann, zu dem Menschen geht, der ihm der vertrauteste und der liebste ist, das war mein Großvater gewesen, und meine Mutter lebte auch in Traunstein mit meinen Halbgeschwistern, den Kindern meines Vormundes, und mit ihrem inzwischen
aus dem Krieg
und also in seinem Falle aus Jugoslawien heimgekehrten Mann, meinem Vormund. Sehr oft war ich auch an den freien Wochenenden zu meinem in Salzburg lebenden Onkel, dem lebenslänglichen Kommunisten und lebenslänglichen Erfinder von nichtübergehenden Kochtöpfen, wassergetriebenen Motoren etcetera, aber meistens zu meinen Großeltern und zu meiner Mutter nach Traunstein und Ettendorf. Hatte ich die Grenze nach Deutschland überschritten, holte ich die deutsche
Kenn
karte hervor, hatte ich die österreichische nach Salzburg überschritten, die österreichische
Identitäts
karte, so hatte ich, für die Behörden, in jedem Land die Aufenthaltserlaubnis, während jeder sogenannte grenzüberschreitende Verkehr damals streng verboten gewesen war, und nur einem Knaben wie mir in meinem Alter war es wahrscheinlich in dieser Zeit möglich gewesen, so oft und fast immer unbehelligt die Grenze am Samstagmorgen in die eine und am Sonntagabend in die andere Richtung zu überschreiten. Im Internat, in welchem zu dieser Zeit außer den Zöglingen und also Gymnasiasten auch nicht das Gymnasium besuchende Schüler und jüngere Handwerker untergebracht waren, hatte ich eines Tages einen jungen Mann kennengelernt, der plötzlich als Zöllner oder sogenannter Finanzer wieder aufgetaucht war und der mich von da an, nachdem ich Dutzende Male über die sogenannte grüne Grenze bei Wartberg gegangen war, in Siezenheim, wo er stationiert gewesen war, über die Grenze gebracht hat vor den Augen seiner österreichischen und der bayerischen Kollegen und unter folgenden Umständen: schon am Abend des Freitag war ich zu Fuß nach Siezenheim zu dem dort ein kleines Haus am Wald bewohnenden Tischlermeister Allerberger, der mit meinem Onkel im Krieg in Norwegen gewesen war,
in General Dietls Stab
, wie es immer geheißen hatte, und war dort aufgenommen, mit warmer Milch versorgt und in ein Bett gelegt worden, aus welchem mich die Mutter des Tischlermeisters Allerberger gegen vier Uhr früh geweckt hat. Ich bin aufgestanden, habe gefrühstückt und bin allein durch den Wald zum Grenzhäuschen und habe ans Fenster geklopft, worauf der junge Zöllner, in eine große Pelerine gekleidet, herausgekommen ist. Wie ausgemacht, hatte ich mich sofort am Rücken des Zöllners festgeklammert und war so von diesem unter dem Schutze seiner Pelerine über den schmalen Siezenheimer Grenzsteg ans deutsche Ufer der Saalach gebracht worden, wo ich von ihm abgelassen hatte und zu Boden gestiegen war. Im Wald, schnell weg von ihm, bin ich dann gegen Ainring gelaufen, zur Bahnstation, um von dort nach Freilassing und weiter nach Traunstein zu fahren, am Sonntagabend hatte sich der ganze Vorgang in umgekehrter Richtung wiederholt, meine Ankunftszeit im Ainringer Wald war auf das Genaueste ausgemacht gewesen, und es hatte immer geklappt. Von meinen Großeltern, die auf dem Land wohnten und sie erübrigen konnten, hatte ich für den Zöllner als Finanzer für seine Hilfe immer Brotmarken mitgebracht. Aber ich bin auch mehrere Male erwischt und einmal eingesperrt und tatsächlich, man denke, als Vierzehnjähriger oder schon Fünfzehnjähriger, das weiß ich nicht mehr genau, wie ein Verbrecher in der Finsternis in das Zollhaus von Marzoll und von dort in das Walser Zollhaus abgeführt worden, ich hatte vor einem Grenzer mit entsichertem Gewehr durch den Wald zu gehen, meine Beteuerung, ich sei nichts anderes als ein verirrter Gymnasiast aus Salzburg, hatte nichts genützt. Und einmal ist mein Vormund in Traunstein von den Amerikanern verhaftet worden, ohne daß er tagelang erfahren hätte, warum, der Grund war aber gewesen, daß ich selbst immer den ganzen Rucksack voller Briefe aus Österreich nach Deutschland mitgenommen hatte, und in diesen Briefen waren zum Großteil in Österreich, nicht aber in Deutschland erhältliche Sacharinschachteln gewesen, es hatte zu dieser Zeit keinerlei Postverkehr
Weitere Kostenlose Bücher