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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sagte, der Mantel könne mir passen, und ich schlüpfte in den Mantel hinein, und der Mantel paßte zwar nicht, aber ich konnte ihn
provisorisch
tragen, mehrere Male sagte der Podlaha
provisorisch
, und dann überlegte er kurz und führte mich durch das mit Kundschaften überfüllte Geschäft hinaus auf die Straße ins Nebenhaus, in welchem das Magazin untergebracht war. Hier sollte ich, bis zwölf Uhr mittag, zusammenkehren mit einem Besen, den mir mein Lehrherr urplötzlich von der Magazintür heruntergeholt und in die Hand gedrückt hatte. Um zwölf wolle er, Podlaha, über alles Weitere mit mir sprechen. Er ließ mich in dem finsteren Magazin mit seiner perversen Geruchsmischung und mit der Feuchtigkeit aller Lebensmittelmagazine allein, und ich hatte inzwischen Zeit, über alles Geschehene nachzudenken. Ich hatte der Beamtin auf dem Arbeitsamt keine Ruhe gelassen, und ich hatte innerhalb einer Stunde erreicht, was ich wollte, eine Lehrstelle in der Scherzhauserfeldsiedlung,
auf die nützliche Weise
, wie ich gedacht habe, unter Menschen für Menschen tätig zu sein. Ich hatte das Gefühl, einer der größten menschlichen Sinnlosigkeiten, dem Gymnasium, entkommen zu sein. Plötzlich fühlte ich: meine Existenz ist wieder
eine nützliche Existenz
. Ich war einem Alptraum entkommen. Ich sah mich schon Mehl und Schmalz und Zucker und Erdäpfel und Grieß und Brot in die Einkaufstaschen stopfen und war glücklich. Ich hatte mitten auf der Reichenhaller Straße kehrtgemacht und bin auf das Arbeitsamt und habe der Beamtin keine Ruhe gelassen. Sie hatte mir viele Adressen angeboten, aber lang keine
in der entgegengesetzten Richtung
. Ich wollte
in die entgegengesetzte Richtung
. Ich kehrte das Magazin zusammen, und um zwölf Uhr sperrte ich, wie mir aufgetragen war, ab und ging in das Geschäft hinüber, wie verabredet. Der Herr Podlaha machte mich mit dem Gehilfen (Herbert) und mit dem Lehrling (Karl) bekannt, und er sagte, er wolle über mich und von mir gar nichts wissen, ich solle nur die Formalitäten erledigen und im übrigen
nützlich
sein. Tatsächlich hatte er das Wort
nützlich
plötzlich von sich aus ausgesprochen, ganz ohne Nachdruck, als ob es sich bei dem Wort
nützlich
um ein Lieblingswort von ihm handelte. Für mich war es mein Stichwort. Eine Periode der Nutzlosigkeit hatte ich abgeschlossen, schien mir, eine Unglücksperiode, eine fürchterliche Epoche. Zwei Möglichkeiten hatte ich gehabt, das ist mir auch heute noch klar, die eine, mich umzubringen, wozu mir der Mut fehlte, und/oder das Gymnasium zu verlassen, von einem Augenblick auf den andern, ich hatte mich nicht umgebracht und war in die Lehre. Es ging weiter. Zuhause reagierten sie apathisch (meine Mutter, mein Vormund), mit größter Verstandes- und Verständnisbereitschaft (mein Großvater). Sie hatten sich mit der neuen Situation im Augenblick abgefunden, es hatte nicht die kürzeste Debatte gegeben. Ich war ja schon die längste Zeit mir selbst überlassen gewesen,
wie
allein ich tatsächlich gewesen war, ist mir zu diesem Zeitpunkt deutlich geworden. Die Existenz pakken und zum Fenster hinaus- oder den Angehörigen vor die Füße werfen, in jedem Falle hätte es die gleiche Wirkung gehabt. Ich stellte die Schultasche, wie sie war, in die Ecke und berührte sie nicht mehr. Die Enttäuschung meines Großvaters hatte er selbst gut verbergen können, er träumte jetzt von einem tüchtigen, großen Kaufmann, in welchem sich, so er, mein Genie vielleicht noch idealer als in irgendeiner anderen Geistesverfassung verwirklichen ließe. Er gab die Schuld für mein Scheitern den Zeitumständen, daß ich in die unglücklichste aller Perioden hineingeboren worden war, direkt in den Abgrund, aus welchem es nach menschlichem Ermessen kein Entkommen mehr gab. Aufeinmal waren für ihn, der sie zeitlebens immer und mit der Inständigkeit seiner Erfahrung verachtet hatte, die Kaufleute ehrenwert und ein Kaufmann nicht ohne Größe. Ich selbst hatte keine Vorstellung von meiner Zukunft, ich wußte nicht, was ich werden wollte, ich wollte nichts werden, ich hatte mich ganz einfach nützlich gemacht. In diesem Gedanken hatte ich plötzlich und unerwartet Zuflucht. Ich war jahrelang in eine Lernfabrik gegangen und war an einer Lernmaschine gesessen, die meine Ohren taub und meinen Verstand zu einem verrückten gemacht hatten, jetzt war ich aufeinmal wieder mit Menschen zusammen, die von dieser Lernfabrik gar nichts wußten und die von dieser Lernmaschine nicht

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