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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Internat, er von zuhause. Manchmal hatte sich seine Mutter verspätet, und auch seine ältere Schwester war ab und zu sogar eine Stunde später als verabredet gekommen, diese Wartezeiten vergingen naturgemäß langsam, und sehr oft hatte ich auf und davon laufen wollen über den Grünmarkt und über die Staatsbrücke ins Internat, aber mein Mitschüler hatte mich durch seine in allem und jedem zum Vorschein gekommenen Freundschaftsbeweise zurückhalten können. Wenn die Mutter oder die Schwester in das Klassenzimmer hereingekommen sind, um ihren Sohn und Bruder abzuholen, waren sie immer mit einem Haufen gerade auf dem unter dem Gymnasium gelegenen Grünmarkt gekauften Gemüse oder Obst heraufgekommen, und sie hängten das Gemüse und das Obst an den Rollstuhl, hoben den Krüppel hinein und trugen, mit meiner Mithilfe, ihren Sohn und Bruder, den Krüppel, mitsamt dem Rollstuhl und dem Gemüse und Obst aus dem Klassenzimmer hinaus und die breiten Marmortreppen hinunter. Vor dem Kriegerdenkmal im ersten Stock setzten sie den ihnen zu schwer gewordenen Rollstuhl mit dem Krüppel ab und machten eine Pause. Da verabschiedete ich mich meistens und lief davon, sehr oft auf diese Weise verspätet angekommen im Internat, erwarteten mich nurmehr noch ein kaltes Essen und die ganze Strenge des Präfekten. Die übrigen Mitschüler waren die Söhne wohlhabender Geschäftsleute, wie der Sohn des Schuhgeschäftsinhabers Denkstein, gewesen oder solche Söhne von Ärzten und Bankleuten. Sehr oft stehe ich heute vor einem Geschäft, und der Name auf dem Portal kommt mir bekannt vor, und ich denke, mit dem jetzigen Inhaber bin ich in das Gymnasium gegangen. Oder ich lese in der Zeitung von Richtern, mit welchen ich auf dem Gymnasium gewesen war, oder von Staatsanwälten oder von Mühlenbesitzern, die in meinem Klassenzimmer gewesen sind, auch mehrere Ärzte sind darunter, die meisten sind mit mir auf das Gymnasium gegangen, um das zu werden, was ihre Väter gewesen sind, sie haben die Geschäfte und die Ämter der Väter übernommen. Aber kein einziger von ihnen ist mir tatsächlich im Gedächtnis geblieben wie der verkrüppelte Architektensohn, dessen Namen ich nicht nenne. Dieser verkrüppelte Gymnasiast und der mit aller nur möglichen Häßlichkeit und Lächerlichkeit ausgestattete Geografieprofessor Pittioni sind es, an die ich sofort denke, denke ich an das Gymnasium. Dieses Gebäude, mitten in der Stadt und dadurch mitten in einer der schönsten Architekturen, die jemals geschaffen worden sind, ist mir nach und nach immer unerträglicher und plötzlich tatsächlich unmöglich geworden. Aber bevor ich es endgültig und aus eigenem Entschluß und gleichzeitig mit ihm auch das Internat in der Schrannengasse verlassen habe, war noch viel Unheil und Unglück durchzustehen gewesen. Mir schien damals, als sei ich der dritte im Bunde gewesen mit jenen zweien, an die ich gerade gedacht habe, an den verkrüppelten Architektensohn und an den Geografieprofessor Pittioni, aber zum Unterschied von den beiden, welchen man ihr Unglück in allem und jedem angesehen hatte, war mein eigenes Unglück tief in mir und in meinem von Natur aus in sich gekehrten Wesen verborgen gewesen, und der Vorteil solcher Wesensart ist, daß sein Unglück nicht erkannt ist und dadurch im großen und ganzen unbehelligt, während die andern beiden, der Architektensohn und der Geografieprofessor Pittioni, niemals unbehelligt gewesen waren, ihr ganzes Leben nicht, habe ich selbst mein Unglück immer unter der Oberfläche verstecken können, es unsichtbar machen können, und je unglücklicher ich gewesen bin, desto weniger von diesem Unglück war an mir und an (und in) meinem Wesen zu bemerken gewesen, und da sich mein Wesen nicht geändert hat, ist es heute wie damals, es gelingt mir fast immer, meinen tatsächlichen inneren Zustand zu verdecken mit einem nach außen gezeigten, der über meinen tatsächlichen inneren Zustand keinerlei Aufschluß gibt, diese Fähigkeit ist eine große Erleichterung. Ich ging zwar jeden Tag in der Frühe vom Internat in der Schrannengasse ins Gymnasium, aber ich wußte, daß ich nicht mehr lange diesen Weg gehen würde, aber von diesen in mir schon am intensivsten gedachten Gedanken hatte ich keinem Menschen Mitteilung gemacht, im Gegenteil bemühte ich mich jetzt, weil ich wußte, daß ich aus freien Stücken, und die Folgen dieser kommenden Entscheidung waren mir mehr und mehr gleichgültig gewesen, auch meinen Großvater muß ich, so

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