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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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für dieses Opfer ist auch immer nur ein
sogenanntes
und ist in Wirklichkeit nichts anderes als das schlechte Gewissen des einzelnen über die Handlungsweise und Grausamkeit der andern, an welcher er in Wirklichkeit mit der gleichen Intensität
als ein grausam Handelnder
beteiligt ist. Eine Beschönigung ist unzulässig. An Beispielen für Grausamkeit und Niederträchtigkeit und Rücksichtslosigkeit zum Zwecke der Unterhaltung einer Gesellschaft als Gemeinschaft an solchen ihren ja immer durch und durch verzweifelten Opfern gibt es Hunderte, Tausende, wie wir wissen, und es wird von dieser Gesellschaft als Gemeinschaft oder umgekehrt tatsächlich alles auf dem Gebiete der Grausamkeit und Niederträchtigkeit an ihnen ausprobiert, und fast immer so lange ausprobiert, bis diese Opfer getötet sind. Es ist wie immer in der Natur, daß ihre geschwächten Teile als geschwächte Substanzen zuerst angefallen und ausgebeutet und getötet und vernichtet werden. Und die Menschengesellschaft ist in dieser Hinsicht die niederträchtigste, weil raffinierteste. Und die Jahrhunderte haben daran nicht das geringste geändert, im Gegenteil, die Methoden sind verfeinert und dadurch noch fürchterlichere, infamere geworden, die Moral ist eine Lüge. Der sogenannte Gesunde weidet sich im Innersten immer an dem Kranken oder Verkrüppelten, und in Gemeinschaften und in Gesellschaften weiden sich immer alle sogenannten Gesunden an den sogenannten Kranken, Verkrüppelten. Jeder Auftritt des Pittioni in der Frühe im Gymnasium ist der Beginn einer bei seinem Erscheinen sofort mit aller Rücksichtslosigkeit einsetzenden Quälmaschine gegen Pittioni gewesen, und in dieser Quälmaschine hatte der Mensch den ganzen Vormittag zu leiden gehabt und den halben Nachmittag, und wenn er aus dem Gymnasium hinaus und nach Hause gegangen ist in die Müllner Hauptstraße, wo er gewohnt hat, war es für ihn doch nur das Entkommen aus dieser Quälmaschine, die sich Gymnasium nannte, gewesen, um zuhause wiederum in eine Quälmaschine einzutreten, denn sein Zuhause ist, wie ich weiß, auch nichts anderes für den Pittioni gewesen als eine Fürchterlichkeit, denn dieser Mensch war verheiratet gewesen und hatte drei oder vier Kinder, und ich sehe sehr oft das Bild vor mir, wie der Pittioni, vor seiner Frau den Kinderwagen mit seinem kleinsten und jüngsten Kind schiebend, einen einzigen Verzweiflungsgang durch die Stadt geht an Samstag- oder an Sonntagnachmittagen. Der durch Häßlichkeit für nichts für sein ganzes Leben bestrafte, aus seinen Erzeugern der Gesellschaft als Gemeinschaft zum Hohn und zum Spott wie nichts anderes vor die rücksichtslosen Augen gesetzt, war schon als nichts anderes als das Opfer seiner Gesellschaft geboren worden. Er hatte sich, wie ich deutlich sehen konnte, längst mit dieser seiner Funktion, nämlich durch seine Häßlichkeit und Gebrechen die Gesellschaft zu unterhalten, abgefunden gehabt. Er war überhaupt nichts als nur Opfer der Gesellschaft, wie viele überhaupt nichts als nur Opfer sind, nur geben wir das nicht zu und heucheln etwas ganz anderes, und er war ein hervorragender, wahrscheinlich sogar der hervorragendste Geografielehrer, den das Gymnasium jemals gehabt hat, wenn nicht der außerordentlichste Professor überhaupt, den diese Schule gekannt hat, denn alle andern waren,
in und gerade in ihrer grenzenlosen Gesundheit
, nichts als durchschnittlich und diesem Mann in nichts ebenbürtig gewesen. Sehr oft denke ich an oder träume ich von dem gepeinigten Pittioni, und tatsächlich ist ja an ihm alles das Lächerlichste gewesen, aber diese seine Lächerlichkeit war eine ganz bestimmte und alle andern im Gymnasium weit und in Wahrheit in allem und um alles überragende Größe. Nach dem Ende des Unterrichts, wenn alle gegangen waren, wenn das Gymnasium schon leer gewesen war, wartete noch der verkrüppelte Architektensohn in seiner (und meiner) Bank. Beinahe zur vollkommenen Bewegungslosigkeit verurteilt, mußte dieser Mitschüler täglich auf seine Mutter oder auf seine Schwester warten, die ihn aus seiner Bank herausgehoben und in seinen Rollstuhl gesetzt haben, er hatte sich an diese Prozedur längst gewöhnt gehabt. Sehr oft und nicht nur aus dem Grund, weil ich neben ihm in der Bank gesessen war, hatte ich ihm die Wartezeit verkürzt, und diese Wartezeit war von uns beiden meistens dazu benützt worden, aus unserem engsten Existenzbereich zu berichten, also berichtete ich das mir berichtenswert Erscheinende aus dem

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