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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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dachte ich, ganz einfach vor den Kopf stoßen, das Gymnasium und also auch das Internat und diese ganze Mittelschulzeit verlassen werde, wenn ich auch noch nicht genau wußte, auf welche Weise und unter welchen dann tatsächlichen Umständen, nur, daß es feststeht, daß ich diesen ganzen so viele Jahre mich nur peinigenden und erniedrigenden Zustand beenden werde, den Anschein erwecken, als wäre alles in Ordnung. Es hätte auffallen müssen, daß ich plötzlich diszipliniert gewesen und nur noch sehr selten aufgefallen war, der Präfekt und der ihm vorstehende Onkel Franz hatten mit mir schon länger keine Schwierigkeiten mehr gehabt, ich hatte mich plötzlich vollkommen untergeordnet und machte sogar Fortschritte in der Schule, aber alles nur in der Gewißheit, daß diese meine Leidenszeit bald beendet sein wird. Jetzt war ich auch oft allein und mit diesem Gedanken der Beendigung meiner Gymnasialzeit wie mit keinem zweiten beschäftigt, auf die beiden Stadtberge gestiegen und hatte mich dort oben stundenlang, unter einem Baum liegend oder auf einem Gesteinsbrocken hockend, der Beobachtung der Stadt, die aufeinmal auch für mich schön gewesen war, hingegeben. Die Leidenszeit der Mittelschulzeit war für mich jetzt nurmehr noch eine Frage der kurzen, wenn nicht kürzesten Zeit gewesen, innerlich war ich dieser Leidenszeit schon entkommen. Ende sechsundvierzig waren meine Großeltern und meine Mutter und mein Vormund mit den Kindern plötzlich über Nacht, weil sie Österreicher und nicht Deutsche sein wollten und das Ultimatum der deutschen Behörden, entweder die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen über Nacht oder genauso über Nacht nach Österreich zurückzukehren, mit ihrer Rückkehr nach Österreich und also nach Salzburg beantwortet haben, nach Salzburg zurückgekommen. Ich hatte ihnen innerhalb von drei Tagen eine Wohnung in der Gegend von Mülln verschaffen und sie dort, in dieser Wohnung, aus Angst, von anderen Wohnungssuchenden aus dieser Wohnung vertrieben zu werden, verbarrikadiert, erwarten und empfangen können. Die chaotischen Verhältnisse, in welche wir alle durch den Entschluß, Österreicher zu bleiben und nicht Deutsche zu werden, gestürzt worden waren, ausnützend, war ich, nachdem ich das Internat längst verlassen hatte, noch einige Zeit in das Gymnasium gegangen und hatte mich eines Tages, nachdem ich mich längst innerlich vom Gymnasium gelöst hatte, tatsächlich mitten auf dem Wege in das Gymnasium, der mich durch die Reichenhaller Straße geführt hat, entschlossen, anstatt in das Gymnasium auf das Arbeitsamt zu gehen. Das Arbeitsamt vermittelte mich noch am Vormittag an den Lebensmittelhändler Podlaha in der Scherzhauserfeldsiedlung, wo ich, ohne den Meinigen auch nur ein Wort davon gesagt zu haben, eine dreijährige Lehrzeit angetreten hatte. Ich war jetzt fünfzehn Jahre alt.

Der Keller
Eine Entziehung

Alles ist unregelmäßige und ständige Bewegung, ohne Führung und ohne Ziel.
    Montaigne

Die anderen Menschen
fand ich
in der entgegengesetzten Rich-tung
, indem ich nicht mehr in das gehaßte Gymnasium, sondern in die mich rettende Lehre ging, gegen alle Vernunft in der Frühe nicht mehr mit dem Sohn des Regierungsrats in die Mitte der Stadt durch die Reichenhaller Straße, sondern mit dem Schlossergesellen aus dem Nachbarhaus an ihren Rand durch die Rudolf-Biebl-Straße, nicht auf dem Weg durch die wilden Gärten und an den kunstvollen Villen vorbei in die Hohe Schule des Bürger- und des Kleinbürgertums, sondern an der Blinden- und an der Taubstummenanstalt vorbei und über die Eisenbahndämme und durch die Schrebergärten und an den Sportplatzplanken in der Nähe des Lehener Irrenhauses vorbei in die Hohe Schule der Außenseiter und Armen, in die Hohe Schule der Verrückten und der für verrückt Erklärten in der Scherzhauserfeldsiedlung, in dem absoluten Schreckensviertel der Stadt, an der Quelle fast aller Salzburger Gerichtsprozesse und im Keller als Lebensmittelgeschäft des Karl Podlaha, der ein zerstörter Mensch und ein empfindsamer Wiener Charakter gewesen war und der Musiker hatte werden wollen und dann immer ein kleiner Krämer geblieben ist. Die Prozedur meiner Aufnahme in das Geschäft war die kürzeste. Der Herr Podlaha betrat den Nebenraum, in welchem ich auf ihn gewartet hatte, und schaute mich einmal kurz an und sagte, ich könne bleiben, wenn ich wolle, auf der Stelle, und er machte die Kastentür auf und holte einen seiner Geschäftsmäntel heraus und

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