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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Schule und von allem, das mit dieser unglückseligen Schule zusammenhing und das beinahe alles gewesen ist außer meinem Entschluß, sondern die Trennung von meinem Leben, der Schlußstrich unter meine schon fast verlorene Existenz. Die Zeit war schon die längste eine unerträgliche, aber
noch nicht reif für die Trennung
. Ich konnte den Tag nicht voraussehen, und mir selbst war er so überraschend gekommen, daß ich nicht wußte, wie mir geschehen war, als ich kehrtmachte in der Reichenhaller Straße. Gerade hatte ich neue Schulbücher eingekauft, neue Hefte, mein Großvater war schon wieder auf der Suche nach einem Nachhilfelehrer in Mathematik. Daß ich die Flüche meines Vormunds gegen mich, die tagtäglichen Verfluchungen meiner Ernährer noch eine endlose Zeit über mich ergehen lassen und mich von diesen Verfluchungen zu Tode einschüchtern lassen müsse, habe ich gedacht und dann urplötzlich die Trennung vollzogen. Meine Aufmerksamkeit war auf das Haus des Regierungsrates gerichtet, in welchem der Sohn des Regierungsrats auf mich wartete, gleich werde ich läuten, und mein Mitschüler, der Einarmige, dem eine von den Deutschen weggeworfene sogenannte Panzerfaust den linken Arm vom Rumpf abgerissen hatte irgendwo in einem oberösterreichischen Wald, wird in der Haustür erscheinen und sich mir anschließen, und wir werden den Rest der Reichenhaller Straße zum Neutor und durch das Neutor und am Sacellum vorbei ins Gymnasium gehen, dachte ich. In diesem Augenblick hatte ich kehrtgemacht und bin zurück und bin über die Aiglhofwiesen durch Mülln in die Gaswerkgasse gelaufen, weg, weg,
in die entgegengesetzte Richtung
. Und ich habe von diesem Zeitpunkt an nie mehr etwas von dem Sohn des Regierungsrats gesehen, auch nichts mehr von ihm gehört, und ich habe viele Jahre lang die Reichenhaller Straße nicht mehr betreten, und ich vermied es jahrelang, durch das Neutor zu gehn, und in das Gymnasium hineinzugehn, ist mir noch heute unmöglich. Meinen Großvater muß die Tatsache, daß ich selbst aus mir von einem Augenblick auf den andern, also aus einem Gymnasiasten einen Lehrling in einem Lebensmittelgeschäft gemacht habe, zutiefst deprimiert haben, meine Mutter wahrscheinlich auch, die übrigen mag dieses Problem nicht beschäftigt haben. Mein Vormund verspürte nichts als Erleichterung, er hatte gemeint, es wäre ihm gleichgültig gewesen, auch wenn ich in eine Maurerlehre gegangen wäre, hätte er nichts dagegen gehabt, und seine Reaktion war verständlich, das Chaos unter allen, die er allein zu erhalten hatte, war ihm über den Kopf gewachsen. Er durfte sich Gleichgültigkeit leisten, zynisch war er nicht gewesen. Mein Onkel sah in meinem Entschluß und daß ich tatsächlich Kaufmannslehrling geworden war, die Bestätigung seiner Vermutung, ich sei
aus Unfähigkeit aus dem Gymnasium
geflohen, eifersüchtig in bezug auf meinen Großvater, seinen Vater, der mich liebte und der ihm zeitlebens nur im Zweifel begegnet war, mochte er sich bestätigt fühlen, aber ich war ja nicht aus Unfähigkeit aus dem Gymnasium ausgesprungen, sondern aus Abscheu davor, aber das war nicht begreiflich zu machen. Mein Großvater als einziger verstand, was ich meinte, und er allein hatte eine Vorstellung von dem, was in mir vorging. Er betrachtete meinen Wechsel vom Gymnasium zur Kaufmannslehrstelle als einen Übergang, und er war schon kurz nach meiner Eröffnung von der Nützlichkeit dieser Kaufmannslehre voll überzeugt gewesen, wenn er mir auch nicht sagen konnte oder wollte, warum. Seine Wünsche in bezug auf den Keller und in bezug auf meine neue, für mich ja nicht ungefährliche Umgebung hatte ich, seiner Zuneigung und Liebe war ich sicher, mehr brauchte ich nicht. Auch in diesem Fall hatte ich also wieder meinen Großvater als Retter zur Seite. Und wahrscheinlich war er es gewesen, der mich den kühnen, von allen Seiten als abwegig eingeschätzten Entschluß hatte in die Tat umsetzen lassen, das Gefühl meinerseits für seine Autorität. Etwas Großes hatte er mit mir vorgehabt und immer wieder davon gesprochen und nicht nur mir gegenüber davon gesprochen, und nun war ich in einem Lebensmittelgeschäft im Keller in der Scherzhauserfeldsiedlung gelandet als Kaufmannslehrling. Ich selbst war genau zu dem Zeitpunkt, in welchem mich der Herr Podlaha aufgenommen gehabt hatte, frei. Ich
war
frei, und
ich fühlte mich frei
. Alles hatte ich
frei
willig getan und tat ich
frei
willig. Hatte ich vorher alles nur widerwillig

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