Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
entscheidenden Merkmalen parallel. Wenn ihm sein Beruf, nämlich der des Lebensmittelhändlers, lästig und, wie sehr oft, unerträglich gewesen war, sagte er und immer mit den gleichen Sätzen und in der immer gleichen Anklagesprache, daß er eigentlich Musiker hatte werden wollen, er hatte, auf Wunsch seiner Eltern, Kaufmann gelernt, hat aber doch Musiker werden wollen, eine Karriere bei den Wiener Philharmonikern wäre sein Gipfel als Ziel gewesen. Der Krieg hatte seinen Plan vereitelt, er hatte ihn aus Wien vertrieben, und er, Podlaha, hatte noch froh sein müssen, anstatt bei den Wiener Philharmonikern die Tuba zu blasen oder die Trompete, in der Scherzhauserfeldsiedlung eine Zuflucht zu finden in dem Keller, in welchem ich selbst ein paar Jahre später Zuflucht gefunden habe. Der Podlaha war nicht, wie seine Berufskollegen, stumpfsinnig und immer nur angetrieben von Geldgier, ich hatte sogar den Eindruck, daß ihm, der ein begeisterter Spaziergänger gewesen war, an Geld nicht viel oder wenigstens nicht in der Hauptsache gelegen war. Schon in den ersten Stunden meiner Tätigkeit im Keller hatte er mich auf Menschen aufmerksam gemacht, mit welchen ich
zaghaft
umgehen sollte, auf eine etwa sechzig oder fünfundsechzig Jahre alte Frau Laukesch oder Lukesch, die jeden Tag über Jahre in den Keller gekommen ist mit der Rumflasche und deren Sohn sich als Volksschauspieler in einem zu einem Volkstheater umgebauten Bierkeller in Schallmoos versuchte und aus dem naturgemäß nichts als ein Säufer geworden ist. Der Podlaha hatte Freude am Geschäft, wie auch ich immer Freude am Geschäft gehabt habe, und tatsächlich weiß ich, daß ich, hätte ich später darauf Wert gelegt, ein tüchtiger und überhaupt nicht auf den Kopf gefallener Kaufmann geworden wäre, aber im Grunde nützte er die Situation der Vorhöllen- oder Höllenbewohner nicht aus, er hätte die Möglichkeit gehabt, diese Leute, wie gesagt wird,
nach Strich und Faden
auszunützen, er tat es nicht, er handelte
redlich
. Er ging mit den Kunden hart, aber immer korrekt, vornehmlich mit den älteren Frauen und mit den Kindern
behutsam
um, dort, wo es notwendig gewesen war, hatte er die Rolle des Seelen- und Nervenarztes übernommen, er gab Ratschläge und gab Medikamente, und sehr oft hatte er Einzel- oder ganze Familienkatastrophen verhindert. Wie man mit Menschen umzugehen hat, habe ich, wie von niemandem sonst, von ihm gelernt, und ich bin überzeugt, daß ich den Umgang ohne Schwierigkeiten, den ich heute mit den sogenannten Leuten aus dem Volk habe, dem Podlaha, nämlich seinem tagtäglichen Umgang mit den in den Keller gekommenen Menschen verdanke, er ist mir ein guter Lehrer nicht nur was den Kaufmannsberuf betrifft, gewesen, sondern auch im Umgang mit Menschen. Wo anderen alles andere Menschen Betreffende schwerfällt, habe ich niemals Schwierigkeiten gehabt, seit ich beim Podlaha in die Lehre gegangen bin. Freilich, ich bin der Aufnahmefähigste gewesen, meine ganze Lehrzeit im Keller ist eine intensive Beobachtungszeit gewesen, und die Fähigkeit zur intensiven Beobachtung habe ich von meinem Großvater gelernt. Ich hätte, denke ich heute, nach der Schule, die mir mein Großvater im Alleinunterricht angedeihen hatte lassen, als nächsten Lehrer keinen besseren haben können als den Podlaha. Mein Großvater hatte mich im Alleinsein und Fürsichsein geschult, der Podlaha im Zusammensein mit den Menschen, und zwar im Zusammensein mit vielen und mit den verschiedensten Menschen. Bei meinem Großvater war ich, ideal, weil so früh, in die philosophische Schule gegangen, beim Podlaha in der Scherzhauserfeldsiedlung in die größtmögliche und in die absolute Realität. Diese zwei frühen Schulen waren für mein Leben entscheidend und, eine die andere ergänzend, sind sie bis heute das Fundament meiner Entwicklung. Ich ging in das Lebensmittelgeschäft als Keller, und der Keller als Lebensmittelgeschäft selbst war
mein ureigentliches Lebensmittel
, das hatte ich gleich begriffen, und dieser Erkenntnis mußte sich alles unterordnen. Zuhause konstatierten sie die Veränderung, die mit mir vorgegangen war, von dem Augenblick meines Lehrstellenantritts, ich hatte ihnen nur gesagt, ich ginge jetzt nicht mehr ins Gymnasium, sondern in eine Lebensmittelhandlung, als ich sagte, wo die sei, nämlich in der Scherzhauserfeldsiedlung, glaubten sie mir nicht, aber sie mußten sich mit der Tatsache abfinden, ich ging
tatsächlich
in die Scherzhauserfeldsiedlung, wenn
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