Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
weiß ich nicht, sie war immer schon in mir, jetzt hatte sie wieder freien Lauf, sie war nicht erstickt gewesen. Viele kamen in das Geschäft, also in den Keller, um mit mir zu lachen. Ich hatte ein freundliches Wesen, einen guten Witz, der seine Wirkung nicht verfehlte unter der Kundschaft. Der bei den Großhändlern einkaufende Chef konnte mich tagelang ruhig allein lassen im Keller, wenn der Lehrling Karl krank und der Gehilfe Herbert aus einem anderen Grunde nicht im Geschäft waren. Ich nahm es mit der Kundschaft bald ganz allein auf, und es störte mich nicht, wenn Dutzende sich an der Budel drängten, ich fertigte sie ruhig und hundertprozentig, ganz in meine Aufgabe vertieft und gleichzeitig in sie verliebt, ab. Der Chef wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte, und es gab Tage, in welchen ich ohne weiteres ganz allein den Ansturm, den ein neuer großer Lebensmittelaufruf im Keller hervorgerufen hatte, bewältigte. Ich hatte ganz einfach an dieser Tätigkeit ein Vergnügen, was ich mir gewünscht hatte, nützlich zu sein, hatte sich hier erfüllt. Und die Befriedigung, die ich bei meiner Aufgabe hatte, war deutlich, und sie konnte sich ungehindert auf alle, mit welchen ich im Keller zu tun hatte, übertragen. Ich hatte nicht gewußt, daß das Leben so glücklich sein kann an manchen Tagen, in welchen ich so viel zu tun hatte, daß niemand glauben wollte, daß ich das alles allein bewältigte. Die Kaufmannsbudel im Keller war mir, durch das Kränkeln des Lehrlings Karl und wegen der Liebschaften und dadurch immer häufigeren Abwesenheiten des Gehilfen Herbert, eine Kommandobrücke gewesen, die ich (vollkommen) beherrschte. Der Herr Podlaha wußte meine Selbständigkeit zu schätzen, nicht oft gehen Intelligenz und händische Geschicklichkeit so gut zusammen wie in meinem Fall. Dazu kamen mein von Natur aus offenes Wesen und die Fähigkeit, bei der geringsten Gelegenheit gut aufgelegt und glücklich zu sein und diesen Zustand nicht verbergen zu müssen, sondern offen ausspielen zu können. Aller dieser Fähigkeiten und Vorzüge war ich mir viele lange Jahre gar nicht mehr bewußt gewesen, sie hatten sich aber urplötzlich im Keller in der Scherzhauserfeldsiedlung zurückgemeldet und auf erfrischende Weise nach außen gekehrt. Der Zustand, in welchem sich mein ganzes Wesen in solchen Perioden der absoluten Selbständigkeit im Geschäft befand, war ein glücklicher. Ich stand dann im Mittelpunkt und verkaufte nicht nur unsere Lebensmittel und andere Waren, sondern gab dazu, sozusagen unentgeltlich, an jeden in das Geschäft Eingetretenen einen Anteil an meiner wiedergewonnenen Lebensfreude. Samstags, nach dem sogenannten Großreinemachen, war ich jedesmal ziemlich erschöpft nachhause gekommen, mit Weißbrotwecken, Erdäpfeln und mit Zucker und Mehl, je nachdem, was sie gerade zuhause wünschten, durch die von den immer gleichen Küchendämpfen und vornehmlich Suppendämpfen erfüllten Siedlungsstraßen vorbei am Sportplatz, die schon fast zur Gänze verfaulte Holzplanke entlang bis zur Lehener Post, durch die fauligen Wasserlachen und durch das wildwuchernde, niemals gemähte Gras vor der Lehener Post und entlang den notdürftigen Gartenzäunen der bulgarischen Gärtner, deren Arbeit ich sehr oft durch den Zaun beobachtet hatte und die mich an meine eigene einjährige Gartenarbeit in Traunstein erinnerte, ich hatte bei diesen Beobachtungen gedacht, daß auch Gärtnersein etwas für mich gewesen wäre, hätten nicht die Bombentrichter gegen Ende fünfundvierzig der Gärtnerei Schlecht & Weininger, in welcher ich so viel gelernt habe, ein Ende gemacht, wer weiß, vielleicht wäre ich heute Gärtner. Die Gartenarbeit ist eine der besten für Kopf und Körper, und in ihr entkommt der Mensch am ehesten und am natürlichsten der Melancholie und dem Überdruß, und Melancholie und Überdruß sind die ausgeprägtesten Kennzeichen des menschlichen Wesens. Die Bulgaren hatten aus wenig Erde viel Gemüse und Obst herausholen können, und ihre Früchte waren immer die gelungensten, weil ihre Arbeit tatsächlich genauso wie eine Hand- eine Kopfarbeit gewesen ist, und weil sie tatsächlich keine Mühe scheuten und ihr ganzes Wesen auf nichts anderes als auf ihre von ihnen bearbeitete Erde gerichtet war. Ich war oft, auf dem Heimweg von der Scherzhauserfeldsiedlung, da, wo heute Wohnblöcke stehen, in die Bulgarengärten hineingegangen und hatte mich mit den Bulgaren unterhalten, und jedesmal hatten meine Beobachtungen
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