Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
entgegengebracht. Auch hier, wie überall, wo Menschen sind, war es der gefährliche Zwischenraum zwischen Sympathie und Antipathie gewesen, aus welchem ich mich zu existieren getraute und meine Lehren zog. Die Arbeiten eines Kaufmannslehrlings erschöpfen sich nicht im Saubermachen und Ordnunghalten des Geschäfts und im Magazin, auch nicht im tagtäglichen zur Gewohnheit gewordenen Staubschlucken, wobei das tagtägliche Mehlstaubschlucken tatsächlich zur Kaufmannslehrlingskrankheit, einer Lungenkrankheit, führen kann, die durch oftmaliges tagtägliches Schleppen und Ausschütten und Zusammenlegen von Mehl- und Grießsäcken entsteht und sehr oft der Kaufmannslehre ein jähes Ende macht, es besteht nicht nur aus der Folgerichtigkeit des Tagesablaufs in einem Lebensmittelgeschäft wie beispielsweise im Keller in der Scherzhauserfeldsiedlung zuerst mit dem Aufsperren und Zurückschieben des Scherengitters und mit dem Aufsperren der Geschäftstür und mit dem Hereinlassen des Chefs und der Angestellten und der Kundschaft in einen Laden, in welchem noch am Vortag und sehr oft noch stundenlang nach Geschäftsschluß alles gesäubert worden ist und alle Warenbehälter aufgefüllt worden sind, alles eine sehr mühevolle Kleinarbeit, die tatsächlich die größte Liebe zum Lebensmitteldetail verlangt und im Grunde nur ordentlich ausgeführt werden kann von einem Menschen mit einem zahlenkombinatorisch begabten Gedächtnis. Diese und Hunderte andere in jedem Falle gleichwichtige Arbeiten müssen tagtäglich gemacht werden, dazu ist zu meiner Zeit auch noch die entsetzliche, nur mit der größten Genauigkeit zu bewerkstelligende Kleinarbeit mit den Lebensmittelmarken gekommen, die bei jedem Einkauf aus den Lebensmittelkarten herausgeschnitten und tagtäglich nach Geschäftsschluß auf große Packpapierblätter geklebt werden mußten. Ganz abgesehen von dem fortwährenden Säckeschleppen und Flascheneinfüllen und Erdäpfelklauben und Obst- und Gemüsesortieren und Kaffee- und Teeabpacken und Butter- und Käseschneiden, ganz abgesehen von den Kunststücken, die das Einfüllen von Essig und Öl und von allen möglichen anderen Säften und von Rum und offenen Weinen und Mosten in alle möglichen, immer viel zu dünnen Flaschenhälse bedeutete, von dem fortwährenden Auf-der-Hut-Sein vor Schimmel und Fäulnis, vor Ungeziefer und vor zu großer Kälte und zu großer Wärme, ganz abgesehen von dem Ausladen und Abladen alle Augenblicke von allen möglichen Lieferungen und dem fortwährenden, an manchen Tagen Hunderte Male vollzogenen Gang vom Geschäft in das Magazin und wieder zurück und umgekehrt und dem Brotschneiden und Semmelbröselmachen und Schinkenschützen und Eierkühlen, ganz abgesehen von dem tagtäglichen Staubwischen auf allen Regalen und dem Hinundherlaufen zwischen dem Eiskasten und der Budel, zwischen den Erdäpfelkisten und der Budel, zwischen allen Regalen und der Budel, abgesehen von dem fortwährenden Händewaschen und Händeabtrocknen und dem beinahe ununterbrochenen Gebrauch von tagtäglich zu schleifenden Messern und tagtäglich zu putzenden Gabeln und Löffeln, tagtäglich zu reinigenden Gläsern und abgesehen vom Fensterputzen und Bodenaufwischen und dem unaufhörlichen Kampf mit den Fliegen und Mücken und Bremsen und Wespen und Spinnweben an den Wänden, war es doch das Allerwichtigste, in dem Kontakt mit der Kundschaft nicht nachzulassen, immer freundlich und korrekt und aufmerksam zu sein und sich fortwährend im Umgang mit der Kundschaft zu üben, die Kundschaft ganz einfach immer zufriedenzustellen und in der Intensität der Bereitwilligkeit gegenüber dieser Kundschaft niemals, nicht einen Augenblick, nachzulassen. Die Wünsche der Kundschaft einerseits zu erfüllen, die Geschäftsinteressen in keinem Augenblick zu vernachlässigen. Ordnung mußte sein, Sauberkeit mußte herrschen, die Kunden und der Chef mußten ununterbrochen auf das beste betreut und zufriedengestellt sein, und die Kasse mußte am Abend stimmen. Ich hatte mich zu meinem eigenen und zum Erstaunen meiner Mitarbeiter, zu dem allergrößten Erstaunen des Chefs selbst, sehr rasch eingearbeitet, und es hatte mir keinerlei Schwierigkeiten gemacht, zu tun, was richtig war und was man von mir verlangte. Dazu war ich aufgeschlossen allen gegenüber, und meine Fröhlichkeit, die ich in den Keller mitgebracht hatte, war ansteckend, woher diese plötzliche Fähigkeit, fröhlich zu sein und mit dieser Fröhlichkeit die anderen anzustecken,
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