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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Richtung, gleich, wie das Wetter ist, und nennt es Spaziergang. Und wo Kinder sind, werden die zu dem berühmten Totschlagen der Zeit herangezogen und gereizt und verprügelt und geohrfeigt, damit sie das Chaos erzeugen, das in Wahrheit die Rettung ist. Und was ist andererseits fürchterlicher als ein Samstagnachmittagsspaziergang als Verwandten- oder Bekanntenbesuch, auf welchem die Neugierde befriedigt und das verwandtschaftliche oder bekanntschaftliche Verhältnis zerstört wird. Und lesen die Leute, quälen sie sich in Wirklichkeit mit einer selbstauferlegten Strafe ab, und nichts ist lächerlicher als der Sport, dieses beliebteste Alibi für die vollkommene Sinnlosigkeit des einzelnen Menschen. Das Wochenende ist der Totschlag an jedem einzelnen und der Tod jeder Familie. Am Samstag, nach Arbeitsschluß, ist der einzelne und also jeder urplötzlich vollkommen allein, denn die Menschen leben in Wahrheit und in Wirklichkeit lebenslänglich nur mit ihrer Arbeit zusammen, sie haben in Wahrheit und in Wirklichkeit nur ihre Beschäftigung, sonst nichts. Kein Mensch kann einem andern die Beschäftigung ersetzen, nicht wenn er einen Menschen, und sei es der für ihn entscheidende, der ihm wichtigste, geliebteste, verliert, geht er zugrunde, wenn man ihm Arbeit und Beschäftigung nimmt, geht er ein und ist in kurzer Zeit tot. Die Krankheiten entstehen dort, wo die Menschen nicht ausgelastet sind, zuwenig beschäftigt sind, nicht über zuviel Beschäftigung sollten sie klagen, sondern über zuwenig, die Beschäftigung wird eingeschränkt, und die Krankheiten breiten sich aus, das Unglück erfaßt alle, wo die Arbeit und die Beschäftigung eingeschränkt werden. Insoferne hat die Arbeit, an sich sinnlos, ihren Sinn, ihren ureigentlichen Zweck. An den Samstagnachmittagen war zuerst die für die Samstagnachmittage charakteristische Stille, Ruhe vor dem Sturm, zu beobachten, aufeinmal stürzten die Leute auf die Straße, sie hatten sich ihrer Verwandten und Bekannten oder auch nur der Natur erinnert, daß es das Kino gibt oder eine Zirkusvorstellung, oder sie flüchteten in die Gärten und fingen an umzugraben. Aber sie taten, was sie jetzt taten, in jedem Fall und aus jedem Grund enttäuscht. Klar ist, wer nicht in eine Tätigkeit flüchtete und glaubte, seine Zeit nur mit Nachdenken und mit dem Mittel der Meditation seinen gefährdeten, sehr oft lebensgefährlichen Geisteszustand überbrücken zu können, lieferte sich schnell und dann auch noch hundertprozentig seinem persönlichen Unglück aus. Der Samstag ist immer der Selbstmordtag gewesen, und wer jemals längere Zeit auf die Gerichte gegangen ist, weiß, daß achtzig Prozent der Ermordeten am Samstag umgebracht worden sind. Während der ganzen Woche ist alles, was einen Menschen unzufrieden und unglücklich machen muß, weil er so auf die Unzufriedenheit und auf das Unglück hin konzentriert ist, niedergehalten, am Samstag aber, nach Arbeitsschluß, sind seine Unzufriedenheit und sein Unglück schon wieder da, und zwar immer rücksichtsloser da. Und alle versuchen sie, an den Samstagen ihre Unzufriedenheit und ihr Unglück auf einen anderen abzuladen. Unzufriedenheit und Unglück werden nach Arbeitsschluß mit nachhause genommen, wo ja auch nichts als Unzufriedenheit und Unglück warten, und werden zuhause abgeladen. In der Folge hat der Samstagnachmittag überall, wo Menschen sind und wo Menschen zusammenkommen, eine verheerende Wirkung. Wo mehrere zusammen sind, wie in den Familien, halten sie es nicht aus, und es muß zur Explosion kommen, und wo einer gänzlich für sich allein ist und also einsam ist und vereinsamt ist, ist es auch eine fürchterliche Situation. Die Samstage sind die eigentlichen Menschentöter auf der Welt, und die Sonntage machen diese Tatsache auf die unerträglichste Weise bewußt, und die Montage schieben die Unzufriedenheit und das Unglück wieder um die ganze Woche bis zum nächsten Samstag, bis zur nächsten Verschlimmerung ihres Geisteszustands hinaus. Ich selbst haßte Samstag und Sonntag, denn an diesen beiden von mir gefürchteten Tagen war ich auf das rücksichtsloseste mit dem Elend der Meinigen konfrontiert gewesen, neun Menschen in drei Zimmern gingen sich von früh bis spät auf die Nerven und hatten, angewiesen auf die kargen Verdienstmöglichkeiten meines Vormunds allein und auf die Kochkunst meiner Mutter, fortwährend Hunger und nichts zum Anziehen, und wie ich mich erinnere, haben sie untereinander aus Kleidermangel die

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