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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Schuhe und die Röcke und die Hosen getauscht, um abwechselnd als sozusagen ordentlicher Mensch auf die Straße gehen zu können, mein Großvater allein hatte das kleinste der Zimmer bewohnt, aber sein Zimmer war auch so klein gewesen, daß er sich in ihm hatte kaum umdrehen können, da hauste er, abgestoßen von seiner Umwelt, unter seinen Büchern und mit seinen unverwirklichten Ideen und saß die meiste Zeit, um das kaum mehr vorhandene Brennholz zu sparen, eingewickelt in eine alte graue Pferdedecke an seinem Schreibtisch, ohne tatsächlich arbeiten zu können. Tagelang, weiß ich, hatte er sich eingesperrt, und seine Frau, meine Großmutter, wartete auf den Schuß aus der Pistole, die er auf seinem Schreibtisch liegen hatte, am Tage auf dem Schreibtisch, in der Nacht unter seinem Kopfpolster, sie fürchtete sich vor diesem Schuß, er hatte ihr und uns allen immer wieder mit Selbstmord gedroht, er hatte kein Geld und nicht die geringste Kraft mehr, ausgehungert wie wir alle, kannte er jetzt, zwei Jahre nach Kriegsschluß, in dieser bittersten Zeit wieder, überhaupt nichts mehr als die Hoffnungslosigkeit. Mein Vormund arbeitete um einen Pappenstiel in seinem unterbezahlten Handwerk. Zu dieser Zeit hatte ich, weil für mich einfach kein Platz mehr gewesen war, mein Bett im Vorzimmer, gleich neben der Eingangstür. An ruhigen Schlaf war unter diesen Umständen nicht zu denken gewesen, so war ich die meiste Zeit vollkommen unausgeschlafen in der Frühe in die Arbeit gegangen. Und wie mein Onkel mit seiner Frau ausgezogen war, hatte meine Mutter, zu uns sieben, muß man sich vorstellen, einen fortwährend übenden Geigenspieler aus Tirol aufgenommen, um eine Einnahmequelle zu haben für die Versorgung der von ihr Verköstigung Fordernden. Zuhause hatte ich nichts zu lachen, unser aller Existenz ist die schwierigste und die auswegloseste gewesen, das Kriegsende hatte uns alle in dieser Wohnung zusammengeführt, um uns das Entsetzen zu zeigen. Es ist aber hier nicht der Platz, um auf Einzelheiten dieses Schreckens zuhause einzugehen, überhaupt muß ich mir an dieser Stelle ein Eingehen darauf verwehren, ich selbst muß mich einer solchen aufgeschriebenen Erinnerung verweigern, sie kann überhaupt nicht beschrieben sein. Dagegen war für mich alles andere lächerlich. Wahrscheinlich war ich im Keller immer so gut aufgelegt, weil ich wußte,
woraus
ich an jedem Tag in der Frühe entkommen war,
mein Zuhause war meine Hölle
gewesen, und an jedem Tag war ich durch meinen Weg in die Scherzhauserfeldsiedlung, die ich jetzt wieder als
Vorhölle
bezeichne, gerettet gewesen. Mein Zuhause war mindestens von der gleichen Fürchterlichkeit gewesen wie alle diese sogenannten Zuhause in der Scherzhauserfeldsiedlung. Und wie ich meinem Zuhause durch die Rudolf-Biebl-Straße
in
die Scherzhauserfeldsiedlung jeden Tag durch den Gang in die Arbeit entkommen bin, sind die in der Scherzhauserfeldsiedlung, wenn sie dazu überhaupt noch die Kraft und die Gelegenheit gehabt haben, durch den Gang
aus
der Scherzhauserfeldsiedlung hinaus in irgendeine Arbeit entkommen. Aber die meisten hatten die Kraft nicht mehr wegzugehn, wie meine Mutter sie nicht mehr gehabt hat, die Meinigen, außer meinem Vormund, sie nicht mehr gehabt haben, die meisten in der Scherzhauserfeldsiedlung haben sie nicht mehr gehabt. Sie sind verrückt geworden oder eingegangen oder verrückt geworden
und
eingegangen wie die Meinigen. Aber das ist ein Kapitel für sich. Mit dem Großvater, der schon ein todkranker Mann gewesen ist, hinauf auf den Mönchsberg, stundenlang, wenn er dazu die Kraft gehabt hat, und er hatte sie nur noch selten, das rettete mich am Samstag und Sonntag zuhause. Was für ein Krampf war es gewesen, mich unter allen diesen fürchterlichen Umständen, die zuhause geherrscht haben, auf das Gymnasium zu schicken. Noch im nachhinein erschien mir das alles als ein perverser Alptraum. In Wahrheit herrschten bei mir zuhause die entsetzlicheren, die fürchterlicheren Zustände, als sie irgendwo in der Scherzhauserfeldsiedlung geherrscht haben, die Bewohner der Vorhölle glaubten in der Hölle zu sein, aber sie lebten nicht in der Hölle,
ich
war in der Hölle, aber davon berichtete ich nichts, das hätte meine Vertrauensstellung, die ich schon nach kurzer Zeit im Keller gehabt habe, erschüttert, daß bei uns zuhause die chaotischeren Zustände herrschten, sagte ich nicht, im Gegenteil, ich malte vor meinen Kellerkollegen und vor allem vor dem Herrn Podlaha

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