Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Großvater das Krankenhaus aufgesucht hatte, war dieses System der Krankheitsunterdrückung und der Krankheitsverweigerung in mir zusammengebrochen. Dieser Zusammenbruch hatte nur ein paar Stunden gedauert. Den Meinigen mag zuerst die Tatsache, daß ich an dem Morgen, nachdem mein Großvater in das Krankenhaus gegangen war, nicht mehr aufstehen hatte können, weil ich wahrscheinlich auch nicht mehr aufstehen wollte, als die gegen sie gerichtete Marotte des von seinem Großvater geliebten Enkels erschienen sein, gegen die es keinen Pardon zu geben hatte. So groß durfte die Liebe des Enkels zu seinem Großvater und umgekehrt nicht sein, daß der Enkel seinem Großvater
selbst in die Krankheit
nachfolgte. Aber mein tatsächlicher Zustand hatte sie bald von dem Wahrheitsgehalt meiner Krankheit überzeugt. Sie mußten dieser meiner Krankheit aber dann mißtraut haben, denn in ihrem Verhalten mir gegenüber war deutlich gewesen, daß sie diese meine Krankheit in ihrem Innersten nicht nur nicht ernst genommen, sondern überhaupt nicht
akzeptiert
hatten. Sie waren gegen meine Krankheit gewesen, weil sie gegen meine Liebe zu meinem Großvater gewesen waren. Für sie war ganz entschieden diese meine jetzt nach dem Krankenhausaufsuchen meines Großvaters aufeinmal so heftig ausgebrochene Krankheit ein von mir rücksichtslos ausgespielter Trumpf gegen sie, den sie mir nicht gönnten. Ihr Denken und das aus diesem ihrem Denken heraus entwickelte Fühlen und Handeln in diesem Punkte waren aber sehr bald durch die dann urplötzlich und mit großer Gewalt auf uns alle hereingebrochenen Ereignisse und Geschehnisse überholt und auf, wie ich glaube, entschiedene und lehrreiche Weise zurechtgewiesen. Ganz naturgemäß hatte sich der schwierige Enkel unter dem Schutz seines Großvaters schon sehr früh auch seelisch und geistig von ihnen abgesondert und, seinem Wesen und immer auch seinem Alter entsprechend, ihnen gegenüber eine kritische Haltung eingenommen, was sie auf die Dauer nicht dulden und letzten Endes niemals ertragen konnten. Nicht bei ihnen war ich ja aufgewachsen, sondern bei meinem Großvater, ihm verdankte ich alles, was mich schließlich lebensfähig und in hohem Maße auch immer wieder glücklich gemacht hatte, nicht ihnen. Das heißt nicht, daß ich ganz ohne Zuneigung für sie gewesen wäre, auch ihnen bin ich lebenslänglich und auf die natürlichste Weise selbstverständlich verbunden gewesen, wenn meine Zuneigung und Liebe ihnen auch nicht und niemals in dem hohen Maße zukommen hatte können wie meinem Großvater. Er hatte mich akzeptiert, nachdem mich alle anderen nicht akzeptiert hatten, ja selbst meine eigene Mutter nicht, er war ihnen allen in Zuneigung und Liebe um beinahe alles voraus gewesen. Ein Leben ohne ihn war mir lange Zeit unvorstellbar gewesen. Es war die logische Konsequenz, ihm selbst in das Krankenhaus nachzufolgen. In meinem Eckbett, aufeinmal in dem vollen Bewußtsein meiner Lage, mußte ich natürlich auf diesen Gedanken gekommen sein, daß ich gar keine andere Wahl hatte, als in dem Augenblick nachzulassen und aufzugeben, in welchem mein Großvater in das Krankenhaus gegangen war und mich, so meine Empfindung, während ich, ihn beobachtend, an seinem Fenster gestanden war, verlassen hatte. Über seine Krankheit wußte ich nichts, bei seinem ersten Besuch an meinem Bett hatte er davon nicht gesprochen, wahrscheinlich war ihm selbst darüber noch nichts bekannt gewesen, vermutlich hatte er die verordneten Untersuchungen noch vor sich, auch hätte er sicher mit mir in diesen Augenblicken des Wiedersehens nicht darüber gesprochen, schon aus dem einen Grund, mich nicht zu verletzen, mich in meinem offensichtlichen Schwächezustand nicht noch mehr herabzusetzen, die Ungewißheit, seine Krankheit betreffend, hatte aber naturgemäß ihre Wirkung auf mich gehabt, und nicht meine eigene Krankheit hatte mich jetzt, nachdem ich, wenn auch nur zu kurzzeitigem, so doch durchaus wieder zu folgerichtigem Denken befähigt gewesen war, beschäftigt, sondern die seinige. Die kurze Zeit, welche ich wieder zu Gedanken befähigt gewesen war, war ausschließlich auf die Krankheit meines Großvaters konzentriert gewesen. Aber es war über diese Krankheit auch nichts von meiner Großmutter und von meiner Mutter zu erfahren gewesen. Möglicherweise, so hatte ich denken müssen, verheimlichten mir alle diese Krankheit, wenn ich sie danach fragte, antworteten sie nicht und lenkten mich sofort davon ab. Aber ich
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