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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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den Schwestern und Pflegern, an welcher auch immer wieder der Arzt beteiligt gewesen war, wieder undeutlich, schließlich für mich nicht mehr zu hören gewesen, bis ich, nach einiger Zeit, wieder Wörter deutlich hören und verstehen und auf ihre Bedeutung hatte prüfen können. Offensichtlich hatten sich die Schwestern und Pfleger und der Arzt von dem Toten wieder entfernt, und die Schwestern waren darangegangen, die Patienten zu waschen. Am andern Ende des Krankensaales muß eine Wasserleitung, möglicherweise sogar ein Waschbecken an der Wand gewesen sein, an welchem die Schwestern Wasser holten. Es war nur ein schwaches Licht im Krankensaal, eine einzige Kugellampe an der Decke, die tatsächlich ein Gewölbe war, mußte den ganzen Krankensaal ausleuchten. Die Nächte waren lang, und erst gegen acht Uhr war von draußen Licht zu erwarten. Jetzt war es aber erst halb sechs oder sechs gewesen und schon stundenlang Unruhe im Krankensaal und auf dem Gang. Ich hatte schon viele Tote in meinem Leben gesehen, aber noch keinen Menschen
sterben
. Den Mann, der im Badezimmer vor mir plötzlich zu atmen aufgehört hatte, hatte ich sterben
gehört
, nicht sterben
gesehen
. Und jetzt, im Krankensaal, war wieder ein Mensch gestorben, wieder hatte ich einen sterben
gehört
, nicht sterben
gesehen
, alles, so dachte ich jetzt, noch immer vollkommen bewegungsunfähig in meinem Bett liegend, hatte vorher, bevor die Schwestern und die Pfleger und der Arzt sich mit dem Toten beschäftigt hatten, mit dem Sterbenden zu tun gehabt, alle diese seltsamen, einen Menschen abschließenden Geräusche, wie ich jetzt wußte. Aber dieser Mensch hatte auf ganz andere Weise aufgehört. Während der Mann im Badezimmer auf einmal, ohne die geringste Vorankündigung, nicht mehr geatmet gehabt hatte und tot gewesen war, hatte sich das Sterben desjenigen, der jetzt nurmehr noch tot im Krankensaal lag, ich hatte nicht sehen können, wo genau, aber doch durch die Geräusche um ihn herum feststellen können, wo ungefähr, völlig anders vollzogen, dieser Sterbende hatte sich, wie ich deutlich gehört hatte, in seinem Bett mehrere Male heftig und wie wenn er sich immer wieder und zuletzt noch mit der äußersten Körperanstrengung gegen den Tod
wehren
wollte, in seinem Bett hin und her geworfen. Zuerst waren mir diese renitenten und lauten Bewegungen nicht als die renitenten und lauten Bewegungen eines Sterbenden zu Bewußtsein gekommen. Er hatte seinen Körper noch einmal herumgeworfen und war dann tot liegengeblieben zum Unterschied von dem Mann im Badezimmer, der ganz einfach,
ohne die geringste Vorankündigung
, aufgehört hatte zu atmen. Ein jeder ist anders, ein jeder lebt anders, ein jeder stirbt anders. Ich hätte, wäre ich dazu imstande gewesen, wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, meinen Kopf zu heben, das gleiche gesehen, das ich dann später sehr oft gesehen habe, einen Toten im Krankensaal, von dem man weiß, daß er, der Vorschrift entsprechend, noch drei Stunden in seinem Bett liegen bleiben und dann abgeholt wird. Ohne daß ich es bis zu diesem Zeitpunkt selbst hatte sehen können, war mir doch klar gewesen, daß in dem Krankensaal nur solche Patienten untergebracht waren, von welchen man nichts als den Tod erwartete. Die wenigsten, die jemals in dieses Zimmer hereingekommen sind, haben es lebend wieder verlassen. Es war, wie ich später erfahren habe, das sogenannte
Alterszimmer
, in welches die alten Männer zum Sterben hereingebracht wurden. Die meisten hatten sich nur Stunden oder höchstens Tage in diesem
Alterszimmer
aufgehalten, das ich selbst für mich als
Sterbezimmer
bezeichnet habe. Nur wenn im Badezimmer Platz gewesen war, hatte man die, deren Tod aller Voraussicht nach unmittelbar bevorstand, aus dem Sterbezimmer hinaus und auf den Gang und in das Badezimmer gebracht, aber selten war im Badezimmer Platz gewesen, in der Zeit zwischen drei und sechs Uhr früh waren die meisten gestorben, und gegen ein und zwei Uhr in der Nacht war das Badezimmer schon besetzt gewesen, in ihm hatten drei Betten hintereinander Platz gehabt. Es war auch von der Laune und von der Arbeitswilligkeit der Schwestern abhängig, auch, ob genügend Pfleger zur Verfügung standen, ob ein Sterbender frühzeitig aus dem Sterbezimmer in das Badezimmer transportiert worden ist oder nicht, dieser in jedem Falle immer beschwerliche Abtransport eines Sterbenden aus dem von mir so genannten Sterbezimmer, das Aufbocken seines Bettes auf die Gummiräder, das

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