Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Miriam? – schien bereits weit genug zu sein. Und er irrte sich selten, was diese Einschätzung betraf.
»Ich bin mit dem Auto hier«, entgegnete sie. »Wenn Sie wollen, kann ich Sie zum Anleger fahren.«
Er sah sie überrascht an.
»Ach, das wäre wirklich sehr nett. Aber Sie wissen ja gar nicht, wo ich hinmuss.«
Sie blickte zu Boden.
»Sie haben das Boot erwähnt, also wohnen Sie vielleicht … in Nesodden oder so.«
Sie fuhr mit derselben Ruhe, die auch ihre Stimme ausstrahlte. Geschmeidig glitten sie durch den Verkehr. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie schien von ihm nichts zu erwarten. Als wäre es ihr überhaupt nicht unangenehm, dass er kein Wort sagte.
»Sie wirken müde.«
Erst jetzt fiel ihm wirklich ihr leichter Akzent auf, den er schon den ganzen Tag unterschwellig registriert hatte. Kam sie irgendwo aus Osteuropa? Er fragte nicht, weil er so wenig wie möglich von ihr wissen wollte.
»Ich hatte heute Nacht Bereitschaftsdienst«, erklärte er. »Eigentlich war ich gar nicht dran, bin dann aber für einen Kollegen eingesprungen. Es gab einen Autounfall …«
Ehe er sichs versah, erzählte er Miriam von Liss, die so friedlich im Graben gelegen hatte, als schliefe sie nur. Und von ihrer Mutter, die sich an seinen Arm geklammert hatte und ihn, den Überbringer der furchtbaren Nachricht, nicht gehen lassen wollte.
»Sie war nur ein Jahr älter als mein jüngster Sohn. Er kannte sie.«
Die Bootsglocke läutete.
»Dieser Idiot, der hinter dem Steuer eingeklemmt war und nach Schnaps gerochen hat … ich hätte ihn umbringen können!«, rief er.
»Ihr Boot …«, sagte sie.
Er rührte sich nicht vom Fleck. Seine Reserven hatten sich erschöpft. Er starrte über den Fjord, der langsam in der Dämmerung versank.
»Haben Sie’s eilig?«
Ohne sich umzudrehen, spürte er, dass sie den Kopf schüttelte.
7
Mittwoch, 26. September
S olveig Lundwall schob den halbvollen Einkaufswagen in Richtung der Gefriertruhen. Dorthin war es ein weiter Weg, sicherlich hundert Meter. Lange Regale voller Toilettenpapier und Küchenrollen musste sie bis dahin passieren. Katzen- und Hundefutter. Dann all die Frühstücksflocken: Cornflakes, Müsli, Frosties, Weetabix. Sie warf eine Packung Honni Corn in den Wagen. Als sie noch ein Kind war, hatten sie jeden Freitagmittag Honni Corn gegessen. Milch! Sie musste genug Milch kaufen. Zu Hause tranken sie so viel davon. Vier durstige Kehlen, die tranken und tranken. Was noch? Fischkonserven. Ihre Einkaufsliste hatte sie zu Hause liegen lassen. Ein Mann mit grauem Anorak und Schiebermütze kam von rechts und bog direkt vor ihr auf den Gang ein. Ein paar Meter weiter blockierte sein quer stehender Wagen den Weg. Am liebsten wäre sie mit voller Wucht in ihn hineingefahren, konnte sich aber im letzten Moment beherrschen.
»’tschuldigung«, sagte er grinsend und zog den Wagen zur Seite.
Sie versuchte zurückzulächeln, spürte jedoch, dass ihr Gesicht fast unbeweglich blieb. Sie musste ziemlich befremdlich wirken und beeilte sich, an dem feixenden, faltigen Rauchergesicht vorbeizukommen. Endlich war sie bei der Milch angelangt.
»Ich muss genug Milch kaufen«, murmelte sie, fünf Liter Vollmilch, fünf Liter fettarm. Zehn Liter? Zu Hause tranken sie unendlich viel davon und waren nicht zu bremsen. Per Olav am allermeisten, obwohl Dr. Glenne gesagt hatte, er solle weniger Milch trinken. Per Olav hörte auf Dr. Glenne. Aber er liebte Milch. Nachts stand er auf und ging an den Kühlschrank. In Gedanken sah sie ihn vor sich, wie er die Packung Buttermilch direkt an den Mund setzte. Danach hingen Reste der säuerlichen Flüssigkeit in seinem Bart. Buttermilch sei besser für ihn als Vollmilch, hatte Dr. Glenne gesagt. Und Per Olav hörte auf Dr. Glenne. Wenn sie an den Arzt dachte, nannte sie ihn stets beim Vornamen. Axel. Aber das wusste Per Olav nicht. An der Käsetheke tauchte der Mann mit der grauen Jacke wieder auf. Er näherte sich ihr, als wollte er sie ansprechen. Vielleicht wollte er nur eine witzige Bemerkung machen. Sie drehte ihren Wagen abrupt um und eilte auf die Mineralwasserkästen zu. Eigentlich wollte sie Cola light kaufen, doch sie konnte jetzt nicht stehen bleiben. Bier! Per Olav hatte sie gebeten, ein paar Flaschen Bier zum Fisch mitzubringen. Im Vorbeilaufen griff sie wahllos nach einigen Flaschen. Per Olav nahm es mit der Sorte nicht so genau. Das mit dem Fisch war ihre Idee gewesen.
»Heute essen wir Fisch«, hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher