Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Sie hieß Miriam. Ihren Nachnamen bekam er nicht mit.
»Wir haben schon öfter miteinander gesprochen«, sagte sie.
Er runzelte die Stirn.
»Direkt vor den Sommerferien. Sie haben eine Vorlesung über Krebstherapie in der Schulmedizin gehalten, und in den Pausen bin ich manchmal zu Ihnen gekommen.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich.« Er hatte in seinen Vorlesungen ausführlich über die Verantwortung des Allgemeinmediziners gesprochen, dem trotz der Vielzahl von Bagatellerkrankungen nicht entgehen dürfe, wenn ein Patient schwer erkrankt sei.
»Also gut, dann können wir ja jetzt den ersten Patienten hereinbitten. Halten Sie sich zunächst unauffällig im Hintergrund. Mit der Zeit werde ich Ihnen natürlich eigene Aufgaben übertragen.«
Für eine Mittagspause war keine Zeit, aber es gelang ihm, all seine Patienten persönlich zu behandeln und niemand länger als eine halbe Stunde warten zu lassen. Am Nachmittag fand sich sogar die Gelegenheit, einige der behandelten Fälle mit seiner neuen Praktikantin zu diskutieren. Seine Müdigkeit hatte er verdrängt und nutzte seine ausreichend vorhandenen Reserven, die ihm helfen würden, bis zum Ende des Tages durchzuhalten. Die Studentin war glücklicherweise ein ruhiger und angenehmer Mensch. Außerdem verfügte sie über ein solides Grundwissen und stellte intelligente Fragen. Sie beeindruckte ihn sogar mit detaillierten Kenntnissen über Leukämie, die ihm teils selbst nicht geläufig waren, was er geflissentlich überspielte.
Um Viertel vor vier kam die letzte Patientin an die Reihe, die einen kurzfristigen Termin bekommen hatte. Er las, was Rita auf einem Zettel notiert hatte: »Cecilie Davidsen. Wirkt sehr besorgt. Hat Knoten in der Brust ertastet.«
Er sah sich ihre Patientenakte auf dem Bildschirm an. Sie hatte sich erst einmal zuvor von ihm behandeln lassen, vor drei Jahren, als er sie wegen einer Grippe krankgeschrieben hatte. Sechundvierzig Jahre alt, Stewardess, zwei erwachsene Kinder sowie eine achtjährige Tochter.
»Eine Frau, die nicht vorschnell zum Arzt geht«, sagte er zu der Praktikantin. »Desto wachsamer müssen wir sein.«
Cecilie Davidsen war hochgewachsen und schlank, mit kurzgeschnittenen Haaren mit ein paar hellen Strähnen. Axel erkannte sie sofort wieder. Sie zog die Handschuhe aus, gab ihm die Hand und lächelte ihn verschämt an, als wolle sie sich dafür entschuldigen, seine wertvolle Zeit in Anspruch zu nehmen. Etwas in ihrem Blick jedoch signalisierte ihm, wie beunruhigt sie war.
Er stellte alle Fragen, die gestellt werden mussten, über Stillzeiten und Menstruation und wann ihr das erste Mal eine Veränderung ihrer Brust aufgefallen war.
»So, dann wollen wir mal sehen …«
Sie knöpfte ihre Bluse auf. Er hatte bewusst nicht gefragt, wo sie den Knoten bemerkt hatte, damit er ihn selbst ertasten konnte. Er befand sich auf der rechten Seite, direkt unter der Brustwarze. Er war so groß wie eine Mandel, uneben und kaum beweglich.
»Miriam, fühlen Sie mal.«
Cecilie Davidsen war schweißnass unter den Achseln, obwohl es im Behandlungszimmer nicht sonderlich warm war.
»Neun von zehn Befunden sind gutartig«, betonte Axel, während Miriam die Brust der Patientin abtastete. Sie machte das offenbar nicht zum ersten Mal, ihre Hände bewegten sich ruhig und systematisch. »Wir werden alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
»Eine Mammographie?«
»Ja, und zwar so schnell wie möglich. So etwas sollte man gleich aus der Welt schaffen.«
Nachdem die Patientin gegangen war, wandte er sich wieder seiner Praktikantin zu.
»Besteht Grund zur Besorgnis?«
Sie dachte kurz nach.
»Sie haben nicht sehr besorgt gewirkt, aber der Knoten war deutlich zu spüren.«
»Als Arzt sollte man immer vom Schlimmsten ausgehen«, dozierte er. »Aber es ist nicht nötig, das auszusprechen, ehe man nicht konkretere Anhaltspunkte hat.«
Er strich sich über das Kinn.
»Mir hat der Knoten nicht gefallen. Außerdem hatte sie drei vergrößerte Lymphknoten in der Armhöhle.«
Er tippte etwas auf der Tastatur und druckte eine Überweisung aus.
»Die geht heute noch raus. Außerdem werde ich das Krankenhaus anrufen. Die Untersuchung wird noch in dieser Woche stattfinden, das garantiere ich Ihnen.«
Er warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich muss das Boot um halb fünf erwischen. Morgen können Sie schon allein ein paar Patientengespräche führen.«
Normalerweise wartete er damit bis zur zweiten Woche, doch diese Studentin – hieß sie nicht
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