Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Patienten, die im Großen und Ganzen gesund waren, aber über die kleinsten Wehwehchen jammerten. Er schätzte sie als Kollegin und hatte keinerlei Interesse daran, sie bloßzustellen, vor allem nicht vor einer seiner Praktikantinnen. Er wusste, dass sie nun eingehender untersuchen würde, ob ihr Patient womöglich an Lymphknotenkrebs litt. Dieser Verdacht hatte auch ihn bei der Durchsicht der Laborergebnisse beschlichen.
»Noch eine Waffel?«, fragte Rita und hielt ihnen den Teller hin.
Axel hielt sich abwehrend den Bauch.
»Ich werde mit Miriam ein paar Patientenbesuche machen«, sagte er. »Ich weiß ja, dass du hier die Stellung hältst, Rita.«
»Worauf du dich verlassen kannst. Übrigens hat vorhin ein Mann angerufen, der unbedingt noch einen Termin für heute Nachmittag haben wollte. Er sagte, er will dich als seinen neuen Hausarzt haben. Seine Unterlagen habe ich allerdings noch nicht bekommen.«
»Du hast ihm doch bestimmt gesagt, dass es heute beim besten Willen nicht geht?«
»Er hat gefragt, ob er stattdessen morgen Nachmittag kommen könne, und da habe ich ihm geantwortet, dass der Donnerstagnachmittag ausschließlich für deine Fahrradtour reserviert ist. Hätte ich das nicht sagen sollen?«
Axel runzelte die Stirn.
»Es geht die Patienten nichts an, was ich in meiner Freizeit tue. Aber ist das denn so eilig?«
»Er meinte, ja, wollte aber nicht sagen, warum.«
In der Praxis überprüfte Axel gemeinsam mit Miriam seinen Arztkoffer auf Vollständigkeit. Als er ihn zuklappte, rief Rita von der Rezeption aus an.
»Solveig Lundwall ist hier.«
»Sie hat heute keinen Termin.«
»Das weiß ich. Aber sie will nicht wieder gehen, ehe sie nicht mit dir gesprochen hat.«
»Sag ihr, dass ich sie heute Nachmittag anrufe.«
Er hörte einen leisen Wortwechsel am anderen Ende der Leitung, dann laute Schreie.
»Frau Lundwall ist völlig außer sich …«
»In Ordnung. Schick sie rein.«
Im nächsten Moment wurde die Tür weit aufgerissen.
»Frau Lundwall, nehmen Sie Platz.«
Sie blieb stehen und schaute Miriam skeptisch an.
»Das ist Miriam, sie studiert noch und absolviert gerade ein Praktikum bei mir. Ist es für Sie in Ordnung, dass sie bei unserem Gespräch dabei ist?«
Solveig Lundwall schüttelte energisch den Kopf, und Axel gab Miriam ein Zeichen, dass sie den Raum verlassen sollte. Sobald sie unter sich waren, rief Solveig Lundwall aus:
»So geht das nicht, Axel!«
Er stutzte darüber, dass sie ihn beim Vornamen nannte.
»Was geht so nicht?«
Sie setzte sich auf die äußerste Stuhlkante und schien jeden Moment aufspringen zu wollen.
»Sie sollte nicht hier sein«, schnaubte sie und blickte verstohlen zur Tür.
»Meinen Sie meine Praktikantin?«
Solveig Lundwall antwortete nicht. Axel beugte sich zu ihr vor.
»Warum sind Sie zu mir gekommen?«
»Die Hure«, murmelte sie. »Die Hure Babylon, sie sollte nicht hier sein. Ich habe wider dich, dass du das Weib Isebel duldest.«
Axel kannte sie schon seit vielen Jahren und wusste, wie es um sie stand. Wenn sie begann, aus der Bibel zu zitieren, war das ein schlechtes Zeichen.
»Ich werde Ihnen helfen, Frau Lundwall.«
»Ich habe nicht genug Milch«, klagte sie. »Sie trinken und trinken und kriegen nie genug.«
Er ging darauf nicht ein. Plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Die Verzweiflung war verschwunden, als sie ihn mit großen Augen anstarrte.
»Ich habe dich heute gesehen.«
Er wartete ab, was kam.
»In Majorstua, an der U-Bahn-Station. Du bist oben auf der Treppe gestanden, im hellen Licht. Du warst gekleidet wie ein Bettler und trugst einen Bart, aber es war dein Gesicht. Auch die Augen. Du warst Jesus. In diesem Moment warst du Jesus und hast mich gerettet. Wärst du nicht gewesen, wäre ich jetzt nicht hier.«
Er schaute sie durchdringend an und war für einen Moment nicht in der Lage, etwas zu entgegnen.
»In Majorstua?«, bekam er schließlich heraus.
»Ich habe das Foto eines Mädchens in der Zeitung gesehen. Sie war höchstens sechzehn Jahre alt. Sie passt auf mich auf. Etwas Schreckliches wird geschehen, Axel. Und hatten über sich einen König, den Engel des Abgrunds. Menschen werden sterben. Pastor Brandberg wendet sich ab und will damit nichts zu tun haben. Du bist der Einzige, der es verhindern kann.«
Er gewann seine Fassung wieder. Sie vertraute ihm. Schon früher hatte sie ihn aufgesucht, als sie einem Zusammenbruch nahe gewesen war. Wenn sie auf diese Weise über den Tod sprach, war sie
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