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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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war, trotz des Kompasses, den Monsieur Kauffmann mir geschenkt hatte.
    Nachmittags sah ich mir Lehr- und Dokumentarfilme an, mit der dunklen Brille auf der Nase, um meine Augen zu schützen. Der Bildschirm in meinem Zimmer sendete sie den lieben langen Tag: Filme über das Tierleben, die großen Entdeckungen, die Geheimnisse der Tiefe, die Wunder der Pflanzenwelt, die hundert bedeutendsten Meisterwerke der Menschheit. Alles, um mir die Harmonie der Natur und die Schönheit der Welt vor Augen zu führen. Aber ich ließ mich davon nicht täuschen. Ich wusste, dass die Welt nicht ganz so schön war. Dass es dort draußen weder fröhlich noch friedlich zuging. Das wusste ich wegen der schwarzgekleideten Männer, die unsere Tür aufgebrochen und meine Mutter verschleppt hatten. Das wusste ich wegen der Hubschrauber, die über unseren Köpfen kreisten, und der Bilder, die mir manchmal im Traum wieder erschienen. Sie blitzten kurz und heftig auf. Ich hatte keine Ahnung, woher sie stammten. Dafür sprachen sie eine klare, deutliche Sprache. Und so konnten mir ihre hübschen Geschichtchen gestohlen bleiben, die Robbenbabys, die Venus von Milo oder der Smaragdwald. Ich witterte das Chaos, das dahinter lauerte.
    Oft sprach ich zu meiner Mutter. Ich trug ihr Gedichte über Liebe und Trauer vor und redete mir dabei ein, dass sie es hören konnte. Sie fehlte mir nach wie vor, mit der Zeit wurde es sogar schlimmer. Seit vier Jahren schon wartete ich darauf, dass sie sich endlich dazu durchrangen, mir zu sagen, wo sie steckte, was aus ihr geworden war. Vier Jahre ohne den kleinsten Hinweis. Die Leere, die sie hinterlassen hatte, wurde zusehends unerträglicher. Allmählich spürte ich, wie mir die Hoffnung durch die Finger rann, jeden Tag ein bisschen mehr. Das hat mich schließlich dazu bewogen, eines Nachmittags mein Schweigen zu brechen, als ich mit Monsieur Kauffmann die rissige Mauer im kleinen Hof entlangging.
    »Ich würde Sie … gern etwas fragen.«
    »Was denn, Mädchen?«
    »Wissen Sie vielleicht, was aus meiner Mutter geworden ist?«
    Monsieur Kauffmann erstarrte.
    »Das ist das erste Mal, dass du deine Mutter erwähnst«, murmelte er. Seine Stimme klang sehr merkwürdig.
    »Ich weiß … aber ich … ich muss …«
    »Komm, Lila. Lass uns in Ruhe darüber sprechen.«
    Wir setzten uns auf die morsche Bank. Ich warf einen verstohlenen Blick auf die Kamera, die knapp über uns angebracht war. Monsieur Kauffmann lachte kurz auf:
    »Ich habe dir doch schon gesagt, dass du keine Angst zu haben brauchst!«
    »Aber …«
    »Was meinst du, warum ich für unsere Spaziergänge ausgerechnet diesen verrotteten alten Hof ausgesucht habe? Eben weil er so verrottet ist!«
    Ich sah ihn verständnislos an.
    »Siehst du drüben diese Überwachungskameras? Die haben schon vor einer ganzen Weile den Geist aufgegeben. Und die da, hinter uns, ist bald auch so weit: Die Mikros sind tot, die Linse verdreckt. Sie zeichnet praktisch nichts auf. Wir sind also ganz unter uns, niemand stört uns, hier sind wir vor den Dumpfbacken und Miesmachern sicher. Was für ein Luxus, heutzutage.«
    Zufrieden faltete er die Hände über seinem dicken Bauch.
    »Jetzt verstehst du sicher, was diesen Ort so reizvoll macht«, sagte er und fuhr dann in ernstem Ton fort: »Kommen wir auf dein Anliegen zurück, meine Kleine. Was möchtest du über deine Mutter wissen?«
    »Nur, was aus ihr geworden ist und wann ich sie wiedersehen kann.«
    Er räusperte sich betreten.
    »Sie wiedersehen … Hast du sie … Erinnerst du dich an sie?«
    »Nicht wirklich … Aber manchmal kommen mir wieder Bilder in den Sinn.«
    »Was für Bilder?«
    Seine Stimme klang wieder anders, und das verwirrte mich.
    »Schwer zu sagen. Eigentlich ist alles verschwommen. Vernebelt.«
    Er zog eine Art Grimasse.
    »Wissen Sie etwas über meine Mutter?«
    Darauf gab er keine Antwort.
    »Wissen Sie etwas?«
    »Es ist ziemlich vertrackt, Lila …«
    »Was ist daran vertrackt?«
    Er öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder, als bräuchte er mehr Zeit, um die richtigen Worte zu finden. Nach längerem Schweigen sagte er schließlich:
    »Als du vor vier Jahren hier gelandet bist, hat man uns nicht das Geringste über deine Mutter mitgeteilt. Weder ihren Namen noch ihr Alter, wir haben nicht mal ein Foto erhalten. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, Lila. Es tut mir leid.«
    »Sie wissen gar nichts?«
    Er schüttelte traurig den Kopf.
    »Ein paar Wochen nach deiner Ankunft wurden wir

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